Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise, und niemand weiß so recht, wie man da wieder rauskommen soll. Klar ist nur: Es liegt natürlich nicht an äußeren Umständen, globalen Krisen oder einer grundsätzlichen Innovationsmüdigkeit – sondern ganz sicher daran, dass die Leute in Deutschland zu oft krank sind. Zumindest, wenn man Mercedes-Chef Ola Källenius fragt. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) nahm er kein Blatt vor den Mund und setzte dort an, wo es wirklich wehtut: bei den Arbeitnehmern. Denn offenbar steht und fällt die deutsche Wettbewerbsfähigkeit mit dem Krankenstand.
„Unsere Werke sind gleich – nur die Deutschen sind öfter krank“
Källenius zeigt sich regelrecht irritiert: Die Mercedes-Werke seien weltweit identisch – von der Arbeitsumgebung bis zu den Gesundheitsleistungen. Und trotzdem leisten sich die Deutschen im Schnitt mehr als doppelt so viele Krankmeldungen wie ihre Kolleginnen und Kollegen im Ausland. „Das kann doch nicht nur an der Erkältungssaison liegen“, könnte man zwischen den Zeilen vermuten. Der Chef ist enttäuscht, beinahe genervt: Während anderswo fleißig malocht wird, verbringen die deutschen Arbeitnehmer anscheinend viel zu viel Zeit damit, Hustensaft zu schlürfen und Netflix-Serien nachzuholen.
Europameister im Krankfeiern
Ein Blick auf die Statistik unterstreicht den Missstand: Deutsche Arbeitnehmer waren im Jahr 2023 durchschnittlich 15,1 Tage krank – das ist der zweithöchste Wert in Europa. Nur Belgien schafft es, uns in dieser Disziplin zu überholen. Dabei sind die Regeln hierzulande auch noch besonders arbeitnehmerfreundlich: Sechs Wochen volle Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, danach übernimmt die Krankenkasse mit 70 Prozent – und das über 78 Wochen hinweg. Da könnte man glatt auf die Idee kommen, dass Kranksein in Deutschland fast ein Geschäftsmodell ist.
Zum Vergleich: In Polen endet die Lohnfortzahlung nach 33 Tagen bei 80 Prozent des Gehalts. In Frankreich wartet man die ersten sieben Krankheitstage komplett vergeblich auf Geld. Und in Portugal? Da gibt es in den ersten drei Tagen gar nichts, danach nur gestaffelte Prozentsätze, die man wohl eher als Trinkgeld denn als Gehalt bezeichnen könnte. Aber Deutschland? Nein, hier regiert die Großzügigkeit – sehr zum Leidwesen der Arbeitgeber.
„Es darf nicht so einfach sein, sich krankzumelden“
Für Källenius ist die Sache klar: Die aktuelle Regelung sei zu lax. Besonders die telefonische Krankmeldung – in Pandemiezeiten eingeführt – hat es ihm angetan. Diese sei, so scheint es, ein Freifahrtschein für Arbeitsverweigerer. „Es darf nicht so einfach sein, sich krankzumelden“, fordert er. Wer also nur ein bisschen hustet oder sich „unfit“ fühlt, sollte besser überlegen, ob er seinen Arbeitstag nicht mit einem guten Nasenspray und einer ordentlichen Portion Disziplin bestreiten kann. Denn: „Wer ungerechtfertigt krankmacht, verhält sich unsolidarisch.“
Das Wort „unsolidarisch“ dürfte viele Arbeitnehmer aufhorchen lassen. Doch der Mercedes-Chef bleibt bei seiner Meinung. Schließlich könne es nicht sein, dass andere Länder uns in puncto Arbeitsmoral überholen, während wir hier in Deutschland fleißig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eintippen.
Reformen – auch wenn sie wehtun
Natürlich hat Källenius auch die Lösung parat: eine Reform des Arbeitsmarktes. Denn warum in die eigene Produktivität investieren, wenn man den Hebel viel einfacher bei den Arbeitnehmern ansetzen kann? Er verweist auf den Vergleich mit anderen OECD-Ländern: Wie viel arbeiten die, wie viel arbeiten wir? Was kostet eine Arbeitsstunde in Deutschland, was in Polen? Und überhaupt, wie hoch sind eigentlich unsere Steuern? Die Antwort auf all diese Fragen ist für ihn wenig schmeichelhaft: „In vielen Dimensionen sind wir in Sachen Wettbewerbsfähigkeit eben nicht mehr vorn.“
Und warum? Weil wir uns angeblich auf unseren Lorbeeren ausgeruht haben. Die Fußball-Metapher lässt der Mercedes-Chef dabei nicht aus: „Wenn man Trainingseinheiten auslässt und andere Teams fleißig weiter trainieren, verliert man irgendwann die Spiele.“ Dasselbe gelte offenbar für die deutsche Wirtschaft. Nur dass hier die „Trainingseinheiten“ durch Arbeitskräfte bestritten werden, die vielleicht einfach mal einen schlechten Tag haben – oder, Gott bewahre, tatsächlich krank sind.
Fazit: Krankenstand als Deutschlands Untergang
Am Ende läuft alles auf eine unbequeme Wahrheit hinaus: Wenn Deutschland wettbewerbsfähig bleiben will, dann müssen wir an den Kern des Problems ran. Und nein, das ist nicht etwa der Fachkräftemangel, nicht die schleppende Digitalisierung oder der international nachlassende Innovationsgeist. Es ist der Krankenstand. Der nächste Schritt ist also klar: Reformen müssen her – und zwar möglichst unpopuläre. „Wir müssen uns den Spiegel vorhalten“, sagt Källenius. Ob die Arbeitnehmer sich nach dieser Aussage ebenfalls in den Spiegel sehen wollen, ist allerdings fraglich. Aber hey, irgendjemand muss ja die Verantwortung tragen.
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