Nr. 28/2019
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Solon SE (Insolvenzschuldnerin), die sich nach ihrer Gründung 1996 zu einem der größten Solarmodulproduzenten in Europa entwickelt hatte.
Nachdem sich ihr Geschäftsmodell mit wachsender Konkurrenz auf dem Solarsektor als nicht mehr tragfähig erwies, kam es zu Sanierungsbemühungen.
Ende 2010 war die Insolvenzschuldnerin rechnerisch überschuldet. Anfang Juli 2011 beauftragte sie die beklagte Restrukturierungsberaterin, sie hinsichtlich einer „finanziellen Reorganisation“ zu beraten.
Darüber hinaus prüfte eine Unternehmensberatungsgesellschaft, ob eine positive Fortführungsprognose bestand. Dies bejahte die Unternehmensberatung im August 2011. Am 13.12.2011 stellte die Insolvenzschuldnerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 14.12.2012 wurde das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im unteren zweistelligen Millionenbereich in Anspruch. Sie hätte die Insolvenzschuldnerin spätestens am 11.10.2011 auf die bestehende Insolvenzreife hinweisen müssen. Hätte sie dies getan, wäre jedenfalls am 1.11.2011 ein Insolvenzantrag gestellt und ein weiterer Schaden vermieden worden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hiergegen hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte habe keine vertraglichen Pflichten im Zusammenhang mit der geschuldeten Beratung verletzt, stellt das OLG fest.
Der Beratungsvertrag umschreibe in Ziff. 1.1. die geschuldeten Leistungspflichten der Beklagten mit 14 einzelnen Unterpunkten. Keiner dieser Punkte habe sich darauf bezogen, dass die Beklagte auf eine etwaige Insolvenzantragspflicht habe hinweisen sollen. Wortlaut und Systematik des Vertrages sprächen auch dafür, dass diese Aufzählung abschließend sei. Gerade die Anzahl und der teilweise ganz erhebliche Umfang der geschuldeten Leistungen belegten, dass es sich nicht um eine bloß exemplarisch zu verstehende Aufzählung handele. Wäre – wie vom Kläger behauptet – eine abschließende Aufzählung faktisch nicht möglich gewesen, hätten die Vertragsparteien jedenfalls mit einer entsprechenden Generalklausel die nötige Flexibilität des Vertrages herstellen können. Eine solche Klausel fehle jedoch.
Gemäß Ziff. 1.3. des Vertrags hatte die Beklagte zudem explizit weder die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten noch die Beratung in steuerlichen Angelegenheiten übernommen. Auch dies spreche gegen eine Auslegung des Vertrags, wonach die Beklagte auf eine etwaige Insolvenzantragspflicht hätte hinweisen müssen. Die Prüfung, wann eine Überschuldung vorliege und ob eine positive Fortführungsprognose gestellt werden könne, betreffe eindeutig Rechtsfragen. Sie unterfielen der vertraglich gerade nicht geschuldeten Besorgung einer fremden Rechtsangelegenheit.
Schließlich spreche die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit einer Vertragsurkunde auch gegen eine mündliche Nebenabrede, wonach die Beklagte auch ohne schriftliche Vereinbarung auf den Eintritt der Insolvenzreife hätte hinweisen müssen. Für eine ergänzende Vertragsauslegung sei ebenfalls kein Raum, da sich das Vertragswerk nicht als erkennbar lückenhaft darstelle.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann beim Bundesgerichtshof die Zulassung der Revision begehrt werden.
Das Urteil kann in Kürze im Volltext unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abgerufen werden.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 29.03.2019, Az. 8 U 218/17
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26.10.2017, Az. 2-19 O 281/16)
Kommentar hinterlassen