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„Keine rechtliche Beratung durch Vermittler“ – Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev und Rechtsanwalt Jens Reime

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Redaktion: Frau Bontschev, Herr Reime, in den letzten Tagen haben Anleger der DEGAG vermehrt E-Mails von Vermittlern erhalten, die davon abraten, sich anwaltlichen Rat einzuholen oder einer Interessengemeinschaft (IG) beizutreten. Was halten Sie von solchen Nachrichten?

Kerstin Bontschev: Solche E-Mails sind aus rechtlicher Sicht äußerst problematisch. Vermittler, die zu solchen Themen Stellung nehmen, bewegen sich auf dünnem Eis, denn sie sind keine rechtlichen Experten und dürfen keinerlei juristische Beratung leisten. Anlegern einfach pauschal davon abzuraten, anwaltlichen Rat einzuholen oder sich einer IG anzuschließen, kann als Versuch gewertet werden, die betroffenen Personen zu verunsichern oder von einer umfassenden Prüfung ihrer rechtlichen Möglichkeiten abzuhalten.

Jens Reime: Ich stimme Frau Bontschev zu. Wir sprechen hier von einer hochsensiblen Angelegenheit – es geht um potenzielle Verluste und mögliche Haftungsansprüche. Anleger haben ein Recht darauf, sich umfassend über ihre Optionen zu informieren. Der Rat, keinen Anwalt zu konsultieren, ist nicht nur unseriös, sondern möglicherweise auch ein Versuch, Haftungsrisiken der Vermittler selbst zu minimieren.

Redaktion: Aber warum sollten Vermittler solche E-Mails verschicken? Was könnte dahinterstecken?

Bontschev: Die Motivation kann vielfältig sein. Einerseits könnten Vermittler versuchen, sich vor möglichen Haftungsansprüchen zu schützen, falls Anleger in der Vergangenheit falsch oder unzureichend beraten wurden. Andererseits könnten sie im Auftrag der DEGAG handeln, um die Organisation einer Interessengemeinschaft oder Klagen durch Anwälte zu erschweren. Eine Interessengemeinschaft bringt oft die Interessen der Anleger gebündelt voran, und das könnte für die DEGAG unangenehm werden.

Reime: Ein weiterer Punkt ist, dass Vermittler in der Vergangenheit möglicherweise Vertriebsprovisionen für die Platzierung von DEGAG-Investitionen erhalten haben. Das könnte erklären, warum sie versuchen, Anleger von Maßnahmen abzuhalten, die diese Investitionen hinterfragen oder rechtliche Schritte prüfen könnten. Ihre eigene Rolle könnte dann in den Fokus geraten.

Redaktion: Welche Konsequenzen könnten solche E-Mails für die Vermittler haben?

Bontschev: Wenn Vermittler solche E-Mails verschicken, bewegen sie sich in einem rechtlich gefährlichen Bereich. Sie überschreiten hier möglicherweise die Grenze zur unerlaubten Rechtsberatung. Sollte ein Anleger aufgrund solcher E-Mails auf rechtliche Schritte verzichten und später Nachteile erleiden, könnten die Vermittler haftbar gemacht werden. Zudem wäre es interessant zu prüfen, ob solche Aussagen möglicherweise strafrechtlich relevant sind, etwa als vorsätzliche Irreführung oder Behinderung von Anlegerrechten.

Reime: Ergänzend könnte man anmerken, dass Vermittler, die solche E-Mails verschicken, ihre Reputation aufs Spiel setzen. Anleger, die sich später doch anwaltlich beraten lassen, könnten dies als Versuch werten, sie an der Wahrnehmung ihrer Rechte zu hindern. Das könnte wiederum zu Schadensersatzforderungen oder Klagen gegen die Vermittler führen.

Redaktion: Was raten Sie den betroffenen Anlegern, die solche E-Mails erhalten haben?

Reime: Mein erster Rat wäre, solche E-Mails ernst zu nehmen, aber nicht ungeprüft zu vertrauen. Anleger sollten sich unbedingt unabhängig beraten lassen – idealerweise durch einen Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. Niemand ist verpflichtet, einer Interessengemeinschaft beizutreten, aber es kann durchaus sinnvoll sein, die Vor- und Nachteile einer solchen Entscheidung durch einen Experten abwägen zu lassen.

Bontschev: Genau. Anleger sollten sich nicht einschüchtern lassen. Es geht um ihre Investitionen und mögliche Ansprüche. Die Kosten für eine Erstberatung bei einem spezialisierten Anwalt sind oft überschaubar, und die rechtliche Prüfung der eigenen Situation kann viele Unsicherheiten klären. Auch sollte geprüft werden, ob die E-Mail selbst als Beweismittel für spätere Ansprüche gegen die Vermittler oder die DEGAG verwendet werden kann.

Redaktion: Halten Sie es für sinnvoll, dass Anleger sich einer Interessengemeinschaft anschließen?

Bontschev: Das kommt auf den Einzelfall an. Interessengemeinschaften haben den Vorteil, dass sie die Interessen vieler Anleger bündeln und mit einer stärkeren Stimme auftreten können. Das kann vor allem in Verhandlungen mit Unternehmen wie der DEGAG hilfreich sein. Zudem senken sie oft die individuellen Kosten für rechtliche Schritte, weil diese auf mehrere Schultern verteilt werden.

Reime: Aber es ist wichtig, sich genau anzusehen, welche Ziele und Strategien eine Interessengemeinschaft verfolgt. Nicht jede IG agiert professionell oder transparent. Anleger sollten vorab prüfen, wer hinter einer solchen Gemeinschaft steht und welche Konditionen vereinbart werden. Am Ende gilt: Unabhängiger anwaltlicher Rat ist durch nichts zu ersetzen.

Redaktion: Abschließend: Was ist Ihre Botschaft an Anleger, die sich durch solche E-Mails verunsichert fühlen?

Bontschev: Lassen Sie sich nicht beirren. Ihr Geld und Ihre Rechte stehen auf dem Spiel. Wenn Sie sich unsicher sind, holen Sie sich professionellen Rat. Niemand außer einem spezialisierten Anwalt kann Ihnen eine objektive Einschätzung Ihrer Situation geben.

Reime: Ich schließe mich an. Vermittler haben oft ihre eigenen Interessen im Blick. Anleger sollten stets ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen und sich nicht von unqualifizierten Ratschlägen abhalten lassen. Am Ende geht es um Ihre Investitionen – und die sollten Sie schützen.

Redaktion: Vielen Dank, Frau Bontschev und Herr Reime, für das aufschlussreiche Gespräch!

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