Die EZB steht nach rund zweieinhalb Jahren Pandemie sowie sechs Monaten Ukraine-Krieg und dessen wirtschaftlichen Folgen vor einem Dilemma: Die hohe Inflation zwingt zu einer weiteren Erhöhung des Leitzinses.
Zugleich droht Europa in eine Rezession abzurutschen. Vor einer wichtigen Tagung der führenden Notenbankerinnen und -banker mehren sich die Warnsignale: Der Euro verliert an Wert – und bei den Staatsanleihen macht sich das fehlende Sicherheitsnetz der EZB immer stärker bemerkbar.
Die Nervosität der Anlegerinnen und Anleger nimmt vor Beginn der jährlichen Konferenz der Topnotenbanker am Donnerstag im amerikanischen Jackson Hole zu: Beim Thema Energiekrise zeichnet sich keine Entspannung ab, zudem bleibt der Euro – teils schon weniger wert als der Dollar – unter Druck. Auch wenn die Probleme in den USA und Großbritannien ähnlich gelagert sind, ist die Euro-Zone mit der teils enormen wirtschaftlichen Kluft zwischen den einzelnen Staaten besonders von der aktuellen Situation betroffen.
EZB-Chefin Christine Lagarde steht vor einer beinahe unmöglichen Aufgabe: die Inflation zu drücken und gleichzeitig die ohnehin sehr schlechte Konjunktur nicht weiter abzuwürgen. Oder wie es der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, am Mittwoch ausdrückte: „Die EZB ist gefangen zwischen zwei Risiken – die Kontrolle über die Inflationserwartungen zu verlieren und einer noch stärkeren Abschwächung der Wirtschaft.“
Investoren verkaufen derzeit Staatsanleihen von Euro-Zone-Ländern. Denn sie gehen davon aus, dass trotz der trüben Konjunkturlage die EZB Anfang September wie erwartet den Leitzins um weitere 0,5 Prozent anheben wird. Bei italienischen Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit stieg der Zinssatz auf 3,65 Prozent und damit den höchsten Wert seit zwei Monaten, als Investoren wegen Italien nervös wurden.
Doch auch die als sichere Bank geltenden deutschen Staatsanleihen verzeichneten zuletzt die stärksten wiederholten Schwankungen seit 2010 – wenn auch in einem ungleich niedrigeren Bereich. Dazwischen gab es einen Ausschlag dieses Ausmaßes aber laut „Financial Times“ nur einen Tag lang im Vorjahr.
Hintergrund ist die Verunsicherung der Anleger aufgrund des Rückzugs der EZB, die ihr Staatsanleihen-Aufkaufprogramm, mit dem ein Wirtschaftseinbruch infolge der Pandemie verhindert wurde, schrittweise einstellt. Damit geht viel Liquidität auf dem europäischen Anleihemarkt verloren. Und die Faustregel lautet: Je weniger Geld auf dem Anleihemarkt, desto stärker schwanken die Preise bzw. desto höher die Zinsaufschläge.
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