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Landgericht Hamburg

Az.: 316 OH 4/18

Beschluss

In der Sache

der vom Hanseatischen Oberlandesgericht nach § 92 Abs. 2 KapMuG zu bestimmende Musterkläger

– Antragsteller –

gegen

1) CONTI REEDEREI Management GmbH & Co. Konzeptions-KG, vertreten durch d. Komplementärin CONTI REEDEREI Management GmbH, diese vertreten durch d. Geschäftsführer Shaun Harbison, Josef Obermeier, Bleichenbrücke 10, 20354 Hamburg

– Antragsgegnerin –

2) CONTI CORONA Anlageberatungsgesellschaft mbH & Co. Vertriebs KG, vertreten durch d. Komplementärin CONTI CORONA Anlageberatungsgesellschaft mbH, diese vertreten durch den Geschäftsführer Wolfgang Menzl, Bleichenbrück 10, 20354 Hamburg

– Antragsgegnerin –

3) NSB Niederelbe Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG, vertreten durch d. Komplementärin Niederelbe Schifffahrtsgesellschaft mbH, diese vertreten durch d. Geschäftsführer Helmut Ponath und Tim Ponath, Hamburger Straße 47-51, 21614 Buxtehude

– Antragsgegnerin –

Prozessbevollmächtigte zu 1 – 3:
Rechtsanwälte Weiss, Walter, Fischer-Zernin, Fuhlentwiete 14, 20355 Hamburg, Gz.: 0016/17/66

beschließt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 16 – durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Wandel, die Richterin am Landgericht Forch und die Richterin Dr. Friedrichs am 09.11.2018:

I. Dem Hanseatischen Oberlandesgericht werden gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids folgende Feststellungsziele vorgelegt:

I. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Beklagten

1. Die Beklagten sind für den am 14.11.2007 veröffentlichten Emissionsprospekt zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ aufgrund ihrer vorvertraglichen Aufklärungspflicht sowie der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiten Sinne gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und 3 BGB verantwortlich.

2. Die Beklagten haben bei der Veröffentlichung des am 14.11.2007 veröffentlichten Emissionsprospektes zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne schuldhaft gehandelt.

3. Die Beklagten waren verpflichtet, über die unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Punkte im streitgegenständlichen Emissionsprospekt zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ aufzuklären und haften deshalb wegen Verletzung ihrer vorvertraglichen Aufklärungspflichten.

II. Hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit des Emissionsprospektes zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“

Der am 14.11.2007 veröffentlichte Emissionsprospekt zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ ist in erheblichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend:

1. a) Es wird im Emissionsprospekt auf der Seite 5 fälschlich dargestellt, dass bei Ausübung eines Sonderkündigungsrechts das eingesetzte Kapital sicher zu 100 % zurückgezahlt wird,

b) es wird im Emissionsprospekt auf der Seite 11 f. das Totalverlustrisiko verharmlost,

2. die Risiken aus dem volatilen Schiffsmarkt, dessen Besonderheiten, Entwicklungen und Perspektiven, insbesondere im Hinblick auf die absehbare Übertonnage werden im Prospekt nicht hinreichend dargestellt,

3. die Volatilität von Charterraten und Secondhand-Preisen von Schiffen werden im Prospekt nicht hinreichend dargestellt, mithin auch nicht die damit einhergehenden Risiken,

4. auf die zahlreichen risikoerhöhenden Umstände im Zusammenhang mit dem Containerschiffsmarkt (über Jahre potenziertes Wachstum einer Übertonnage, Kaskadeneffekt, Wegfall des Kartellsystems) wird nicht hingewiesen,

5. im Hinblick auf das aktuelle und das zukünftig absehbare Marktumfeld zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe, werden im Prospekt die prognostizierten Erträge unvertretbar hoch angesetzt,

6. es erfolgt kein Hinweis darauf, dass das Schiff zu einem Zeitpunkt gekauft wurde, in dem ex tunc betrachtet historische Höchstpreise herrschten,

7. im Hinblick auf die Begutachtung des Schiffes werden die Anleger getäuscht,

8. die zahlreichen Risiken im Zusammenhang mit den Fremdfinanzierungen werden nicht hinreichend deutlich dargestellt, insbesondere die Loan-to-Value-Klausel und die 105%-Klausel nicht erwähnt,

9. es werden werthaltige Platzierungsgarantien vorgetäuscht,

10. die Sensitivitätsanalysen sind insgesamt wegen unrealistisch niedrig angesetzter Abweichungen irreführend, insbesondere ist das im Prospekt abgedruckte Szenario mit niedrigeren Charterraten dahingehend irreführend, als dass die parallel sinkenden Secondhand-Preise nicht berücksichtigt wurden und zum anderen, im Hinblick auf die Volatilität der Charterraten, die für die Beispielsrechnung in Ansatz gebrachten Charterraten zu hoch angesetzt wurden,

11. auf das Risiko der Majorisierung wird nicht hingewiesen,

12. die stark eingeschränkte Fungibilität wird aktiv verharmlost,

13. die Risiken und Besonderheiten der Poolbeschäftigung werden unzureichend dargestellt,

14. es erfolgt kein Hinweis auf die mögliche Inanspruchnahme der Fondsgesellschaft durch Dritte,

15. das Risiko der Rückforderbarkeit von Ausschüttungen gem. §§ 30, 31 GmbHG wird nicht erwähnt.

II. Dieser Vorlagebeschluss ist gemäß § 6 Abs. 4 KapMuG im Klageregister öffentlich zu machen.

Gründe:

I. Die Antragsteller der diesem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Musterverfahrensanträge nehmen die Antragsgegnerinnen auf Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch.

Die Antragsteller beteiligten sich an der CONTI 56. Container Schiffahrts GmbH & Co. KG „Conti Arabella”. Bei den Antragsgegnerinnen zu 1) bis 3) handelt es sich um die Gründungsgesellschafterinnen, wobei es sich bei der Beklagten zu 1) um die Prospektverantwortliche, bei der Beklagten zu 2) um die Platzierungsgarantin und bei der Beklagten zu 3) um die Bereederin der MS CONTI ARABELLA handelt.

Gegenstand der Kapitalanlage ist die Investition in ein 2.122 TEU-Containerschiff. Grundlage des Beteiligungsangebots war der Emissionsprospekt „MS CONTI ARABELLA“ (Anlage K1).

Die Antragsteller halten den Prospekt aus einer Vielzahl von Gründen für fehlerhaft. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung der – gleichlautenden – Musterverfahrensanträge Bezug genommen.

II. Der Antrag ist zulässig.

1. Das Landgericht Hamburg ist für die Entscheidung über die Musterverfahrensanträge nach § 6 Abs. 2 KapMuG zuständig, weil die Zuständigkeit eines anderen Gerichts nicht gegeben ist. Ausweislich des Klageregisters zum KapMuG sind bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung keine gleichgerichteten Anträge bekannt gemacht worden.

2. Der Musterverfahrensantrag ist statthaft, denn die von den jeweiligen Antragstellern geltend gemachten Anträge fallen in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG sind insbesondere Ansprüche musterverfahrensfähig, welche sich auf falsche oder irreführende Kapitalmarktinformationen stützen. Um solche Ansprüche handelt es sich vorliegend, da die Antragsteller ihre Klagen auf die Rechtsprechungsgrundsätze zur Prospekthaftung im weiteren Sinne (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) stützen und die geltend gemachten Pflichtverletzungen der Antragsgegnerinnen gerade damit begründen, dass die den Anlegern übergebenen Unterlagen falsch, unvollständig und irreführend seien. Die insoweit in Bezug genommene vorvertragliche Aufklärungspflicht wird in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich als geeigneter Anwendungsfall von § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG genannt, vgl. BT-Drucks. 17/8799, S.16.

3. Die Voraussetzungen des § 2 KapMuG sind gewahrt. Insbesondere besteht auch eine Bedeutung über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus im Sinne von § 2 Abs. 3 S. 2 KapMuG. Bei der Kammer sind derzeit neun Verfahren betreffend die streitgegenständliche Beteiligung anhängig, wobei im Verfahren 316 O 382/17 elf Kläger zu verzeichnen sind.

4. Hinsichtlich der Feststellungsziele sind die Anforderungen des § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG an den Musterfeststellungsantrag erfüllt. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG muss der Musterfeststellungsantrag die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. An die Erfüllung dieser formalen Voraussetzungen dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die Unzulässigkeit des Antrags wegen Missachtung von § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG ist daher nur dann zu bejahen, wenn der Antrag entweder hierzu überhaupt keine Angaben enthält oder auch durch Auslegung nicht erkennbar ist, welche tatsächlichen Umstände und/oder Beweismittel nach Ansicht des Antragstellers für welches Feststellungsziel von Relevanz sein sollen, vgl. Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage 2014, § 2 Rn. 84. Hinsichtlich der Feststellungsziele enthält der Antrag Angaben zu den maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen, außerdem werden die Beweismittel bezeichnet, derer sich die Antragsteller zum Nachweis ihrer Behauptungen bedienen wollen.

5. Die Feststellungsziele sind – nach der Neufassung des Feststellungsziels zu II. 1. – hinreichend bestimmt (§ 11 Abs. 1 S. 1 KapMuG i.V.m. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und der Antrag damit insoweit zulässig. Die beantragten Feststellungsziele müssen die zu treffenden Feststellungen ebenso bestimmt bezeichnen wie eine Klageschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2017 – XI ZB 17/15 – Rn. 64, juris; BGH, Beschluss vom 09.01.2018 – II ZB 14/16 – Rn. 56, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 18.05.2016 – 13 Kap 4/15, BeckRS 2016, 130259 Rn. 56; Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. 2014, § 6 Rn. 69). Ein Feststellungsziel darf nicht derart undeutlich gefasst sein, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO entsprechend) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Musterbeklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und die Entscheidung darüber, was mit Bindungswirkung für die Ausgangsverfahren feststeht (§ 22 Abs. 1 KapMuG), letztlich den Prozessgerichten der ausgesetzten Verfahren überlassen bleibt (BGH, a. a. O.).

Diesem Maßstab genügt die Formulierung der Feststellungsziele, auch im Hinblick auf das Feststellungsziel zu II. 1 nach dessen Neufassung. Letzteres ist hinreichend konkretisiert worden. Hinsichtlich aller Feststellungsziele lässt sich die jeweilige Fragestellung nunmehr jedenfalls unter Berücksichtigung der Antragsbegründungen konkretisierend auslegen.

Soweit die Antragsgegnerinnen den Vortrag der Antragsteller inhaltlich angreifen, insbesondere die Frage betreffend, ob in den Feststellungszielen benannte (Nicht-)Darstellungen im Prospekt jeweils Prospektfehler darstellen, ist dies nicht Gegenstand der vorliegenden Zulässigkeitsprüfung, sondern gerade im Musterverfahren zu entscheiden. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, wie sich Angaben unter der Überschrift „Conti Vario“ (II. 1.) auswirken.

6. Der Musterverfahrensantrag ist nicht nach § 3 Abs. 1 KapMuG als unzulässig zu verwerfen. Es liegt keiner der in § 3 Abs. 1 KapMuG normierten Unzulässigkeitsgründe vor. Das Prozessgericht verwirft den Musterverfahrensantrag durch unanfechtbaren Beschluss lediglich dann gem. § 3 Abs. 1 KapMuG als unzulässig, soweit die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt, die angegebenen Beweismittel zum Beweis der geltend gemachten Feststellungsziele ungeeignet sind, nicht dargelegt ist, dass eine Bedeutung für andere Rechtsstreitigkeiten gegeben ist oder der Musterverfahrensantrag zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt ist.

Der Antrag ist insbesondere nicht gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG unzulässig. Die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits hängt von den geltend gemachten Feststellungszielen ab. Dies ist abstrakt zu beurteilen. Für die Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängen kann, ausreichend. Die für den Erfolg der Klage darüber hinaus maßgeblichen tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen müssen nicht abschließend geklärt sein. Entscheidungsreife im Übrigen ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung des Musterverfahrens. Die Prüfung der individuellen Anspruchsvoraussetzungen kann nach Abschluss des Musterverfahrens erfolgen (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 04.02.2016, 310 OH 3/15; LG Frankfurt, Beschluss vom 27.09.2013, 2-12 OH 4/13; Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage 2014, § 3 Rn. 40).

Vorliegend kommt für den Fall der Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Prospekts grundsätzlich eine Haftung der Antragsgegnerinnen in Betracht. Im Bereich der gegenständlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, die erst mit Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Insoweit besteht jedenfalls eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass Verjährung noch nicht eingetreten ist. Unabhängig von Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis verjähren die Ansprüche in zehn Jahren ab ihrer Entstehung (§ 199 Abs. 4 BGB). Die letztgenannte Frist ist bei keinem der Antragsteller abgelaufen. Der Emissionsprospekt wurde im November 2007 veröffentlicht. Die Beitritte der Antragsteller erfolgten später. Die Klagen sind im Jahr 2017 anhängig gemacht worden.

Ebenso kommt grundsätzlich in Betracht, dass etwaige festgestellte Prospektfehler für die Anlageentscheidung der Antragsteller kausal geworden sind.

Rechtsbehelfsbelehrung

Dieser Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, §§ 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 2 KapMuG.

Wandel Forch Dr. Friedrichs
Vorsitzende Richterin am Landgericht Richterin am Landgericht Richterin

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