Landgericht Hamburg Vorlagebeschluss 316 OH 5/18
MS „Elisabeth S.“-GmbH & Co. KG26.02.2019
In der Sache der vom Hanseatischen Oberlandesgericht nach § 9 Abs. 2 KapMuG zu bestimmende Musterkläger
gegen
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 3: Prozessbevollmächtigte zu 2: beschließt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 16 – durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Wandel, den Richter Dr. Brüggemeier und die Richterin am Landgericht Dr. Friedrichs am 5.2.2019: I. Dem Hanseatischen Oberlandesgericht werden gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids folgende Feststellungsziele vorgelegt: 1. Es wird festgestellt, dass der am 13.08.2008 von der HCI Hanseatische Capitalberatungsgesellschaft mbH, aufgrund einer formwechselnden Umwandlung seit 2012 firmierend als HCI Hanseatische Capitalberatungsgesellschaft mbh & Co. KG, Hamburg, aufgestellte und am 20.09.2008 veröffentlichte Verkaufsprospekt für den Erwerb einer Beteiligung an der MS „Elisabeth-S.“ GmbH & Co. KG in wesentlichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend ist, da in dem Verkaufsprospekt a. der durch Poolvertrag vom 22.07.2007 gebildete 4.200-TEU-Pool der Peter Döhle Schiffahrts-KG, in welchem das Fondsschiff MS „Elisabeth-S.“ nach Ablieferung im Jahre 2009 eingesetzt wurde, ein für die Anlageentscheidung wesentlicher Umstand darstellt und die in Bezug auf die Einpoolung des Fondsschiffes und den Poolvertrag enthaltenen Prospektangaben für eine ordnungsgemäße Aufklärung unzureichend sind; b. nicht bzw. nicht ausreichend über die tatsächliche Höhe der Einnahmen der MS „Elisabeth-S.“ aus dem Einnnahmepool aufgeklärt wird, indem im Prospekt
c. nicht über das laut Prospekt relevante Marktumfeld und dessen Entwicklung aufgeklärt wird, indem im Prospekt,
d. Risiken verschwiegen oder unzureichend dargestellt werden, indem im Prospekt
e. irreführende Angaben enthält, indem der Prospekt
f. die Darstellung der Kapitalanlage im Verkaufsprospekt nach einer Gesamtschau unvertretbar positiv erfolgt; g. die Renditeprognosen im Prospekt nicht auf realistischer Tatsachengrundlage basierten; und daher über wesentliche Umstände nicht aufgeklärt wird und deshalb jeweils ein Prospektfehler vorliegt. 2. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagten zu 1) bis 3) im Hinblick auf den Erwerb der Fondsbeteiligungen im Hinblick auf die Treugeber der MS „Elisabeth-S.“ GmbH & Co. KG im Allgemeinen und der Klagepartei im Besonderen Haftungsschuldnerinnen nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne sind. 3. Es wird festgestellt, dass aus dem schlichten Ausbleiben von prospektierten und prognostizierten Ausschüttungen nicht auf eine Kenntnis oder eine grob fahrlässige Unkenntnis der Treugeber der MS „Elisabeth-S.“ GmbH & Co. KG im Allgemeinen und der Klagepartei im Besonderen von den unter Ziffer I genannten Prospektfehler geschlossen werden kann. II. Dieser Vorlagebeschluss ist gemäß § 6 Abs. 4 KapMuG im Klageregister öffentlich zu machen. Gründe:I. Die Antragsteller der diesem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Musterverfahrensanträge nehmen die Antragsgegnerinnen auf Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch. Die Antragsteller beteiligten sich an der MS „Elisabeth S.“-GmbH & Co. KG. Bei den Antragsgegnerinnen zu 1) bis 3) handelt es sich um die Gründungsgesellschafterinnen der Emittentin. Gegenstand der Kapitalanlage ist die Investition in ein Containerschiff MS „Elisabeth S.“, welches sich zum Zeitpunkt der Prospekterstellung noch im Bau befand und nach der Übergabe an die Fondsgesellschaft in einem 4.200-TEU-Pool eingesetzt werden sollte. Grundlage des Beteiligungsangebots war der Emissionsprospekt vom 13.08.2008 (Anlage K 2). Die Antragsteller halten den Prospekt aus einer Vielzahl von Gründen für fehlerhaft. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung der – gleichlautenden – Musterverfahrensanträge Bezug genommen. II. Der Antrag ist zulässig. 1. Das Landgericht Hamburg ist für die Entscheidung über die Musterverfahrensanträge nach § 6 Abs. 2 KapMuG zuständig, weil die Zuständigkeit eines anderen Gerichts nicht gegeben ist. Ausweislich des Klageregisters zum KapMuG sind bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung keine gleichgerichteten Anträge bekannt gemacht worden. 2. Der Musterverfahrensantrag ist statthaft, denn die von den jeweiligen Antragstellern geltend gemachten Anträge fallen in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG sind insbesondere Ansprüche musterverfahrensfähig, welche sich auf falsche oder irreführende Kapitalmarktinformationen stützen. Um solche Ansprüche handelt es sich vorliegend, da die Antragsteller ihre Klagen auf die Rechtsprechungsgrundsätze zur Prospekthaftung im weiteren Sinne (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) stützen und die geltend gemachten Pflichtverletzungen der Antragsgegnerinnen gerade damit begründen, dass die den Anlegern übergebenen Unterlagen falsch, unvollständig und irreführend seien. Die insoweit in Bezug genommene vorvertragliche Aufklärungspflicht wird in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich als geeigneter Anwendungsfall von § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG genannt, vgl. BT-Drucks. 17/8799, S.16. 3. Die Kammer hat gemäß § 3 Abs. 4 KapMuG von der gemäß § 3 Abs. 2 KapMuG grundsätzlich vorgesehenen öffentlichen Bekanntmachung der einzelnen Musterverfahrensanträge im Klageregister abgesehen, weil die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Hanseatische Oberlandesgericht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bereits vorliegen. Es sind bei der Kammer mindestens 22 Verfahren anhängig, in denen Musterverfahrensanträge gestellt wurden: 316 O 147/18 (Musterverfahrensantrag veröffentlicht am 11.10.2018) 316 O 148/18 316 O 149/18 316 O 150/18 316 O 151/18 316 O 155/18 316 O 156/18 316 O 157/18 316 O 158/18 316 O 159/18 316 O 160/18 316 O 161/18 316 O 162/18 316 O 280/18 (Musterverfahrensantrag veröffentlicht am 15.1.2019) 316 O 281/18 316 O 282/18 316 O 283/18 316 O 290/18 316 O 297/18 316 O 298/18 316 O 311/18 316 O 333/18 4. Die Voraussetzungen des § 2 KapMuG sind gewahrt. Insbesondere besteht auch eine Bedeutung über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus im Sinne von § 2 Abs. 3 S. 2 KapMuG. Bei der Kammer sind derzeit 24 Verfahren betreffend die streitgegenständliche Beteiligung anhängig, von denen in 22 Verfahren Musterverfahrensanträge gestellt wurden. 5. Hinsichtlich der Feststellungsziele sind die Anforderungen des § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG an den Musterfeststellungsantrag erfüllt. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG muss der Musterfeststellungsantrag die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. An die Erfüllung dieser formalen Voraussetzungen dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die Unzulässigkeit des Antrags wegen Missachtung von § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG ist daher nur dann zu bejahen, wenn der Antrag entweder hierzu überhaupt keine Angaben enthält oder auch durch Auslegung nicht erkennbar ist, welche tatsächlichen Umstände und/oder Beweismittel nach Ansicht des Antragstellers für welches Feststellungsziel von Relevanz sein sollen, vgl. Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage 2014, § 2 Rn. 84. Hinsichtlich der Feststellungsziele enthält der Antrag Angaben zu den maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen, außerdem werden die Beweismittel bezeichnet, derer sich die Antragsteller zum Nachweis ihrer Behauptungen bedienen wollen. 6. Die Feststellungsziele sind hinreichend bestimmt (§ 11 Abs. 1 S. 1 KapMuG i.V.m. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und der Antrag damit insoweit zulässig. Die beantragten Feststellungsziele müssen die zu treffenden Feststellungen ebenso bestimmt bezeichnen wie eine Klageschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2017 – XI ZB 17/15 – Rn. 64, juris; BGH, Beschluss vom 09.01.2018 – II ZB 14/16 – Rn. 56, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 18.05.2016 – 13 Kap 4/15, BeckRS 2016, 130259 Rn. 56; Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. 2014, § 6 Rn. 69). Ein Feststellungsziel darf nicht derart undeutlich gefasst sein, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO entsprechend) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Musterbeklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und die Entscheidung darüber, was mit Bindungswirkung für die Ausgangsverfahren feststeht (§ 22 Abs. 1 KapMuG), letztlich den Prozessgerichten der ausgesetzten Verfahren überlassen bleibt (BGH, a. a. O.) 7. Der Musterverfahrensantrag ist nicht nach § 3 Abs. 1 KapMuG als unzulässig zu verwerfen. Es liegt keiner der in § 3 Abs. 1 KapMuG normierten Unzulässigkeitsgründe vor. Das Prozessgericht verwirft den Musterverfahrensantrag durch unanfechtbaren Beschluss lediglich dann gem. § 3 Abs. 1 KapMuG als unzulässig, soweit die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt, die angegebenen Beweismittel zum Beweis der geltend gemachten Feststellungsziele ungeeignet sind, nicht dargelegt ist, dass eine Bedeutung für andere Rechtsstreitigkeiten gegeben ist oder der Musterverfahrensantrag zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt ist. Der Antrag ist insbesondere nicht gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG unzulässig. Die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits hängt von den geltend gemachten Feststellungszielen ab. Dies ist abstrakt zu beurteilen. Für die Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängen kann, ausreichend. Die für den Erfolg der Klage darüber hinaus maßgeblichen tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen müssen nicht abschließend geklärt sein. Entscheidungsreife im Übrigen ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung des Musterverfahrens. Die Prüfung der individuellen Anspruchsvoraussetzungen kann nach Abschluss des Musterverfahrens erfolgen (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 04.02.2016, 310 OH 3/15; LG Frankfurt, Beschluss vom 27.09.2013, 2-12 OH 4/13; Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage 2014, § 3 Rn. 40). Vorliegend kommt für den Fall der Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Prospekts grundsätzlich eine Haftung der Antragsgegnerinnen in Betracht. Im Bereich der gegenständlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, die erst mit Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Insoweit besteht jedenfalls eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass Verjährung noch nicht eingetreten ist. Unabhängig von Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis verjähren die Ansprüche in zehn Jahren ab ihrer Entstehung (§ 199 Abs. 4 BGB). Die letztgenannte Frist ist bei keinem der Antragsteller abgelaufen. Der Emissionsprospekt wurde im Jahr 2008 veröffentlicht. Die Beitritte der Antragsteller erfolgten später. Die Klagen sind im Jahr 2018 anhängig gemacht worden. Ebenso kommt grundsätzlich in Betracht, dass etwaige festgestellte Prospektfehler für die Anlageentscheidung der Antragsteller kausal geworden sind. RechtsbehelfsbelehrungDieser Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, §§ 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 2 KapMuG.
|
Kommentar hinterlassen