Ein Forschungsteam des Schmidt Ocean Institute hat vor der Küste der Antarktis ein beeindruckendes, bisher unbekanntes Ökosystem entdeckt – verborgen unter einem Gletscher, der seit Jahrhunderten das Sonnenlicht fernhielt.
Als im Januar ein Eisberg der Größe von Chicago – A-84 – vom George-VI-Eisschelf abbrach, nutzten die Wissenschaftler die seltene Gelegenheit, um die neu freigelegte Meeresregion in der Bellingshausen-See zu erkunden. Nur zwei Wochen später war das Forschungsschiff R/V Falkor (Too) vor Ort.
„Wir haben ein wunderschönes, lebendiges Ökosystem entdeckt. Die Größe der Tiere lässt vermuten, dass sie dort seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten leben“, sagte Patricia Esquete von der Universität Aveiro in Portugal.
Leben im Dunkeln – ganz ohne Sonnenlicht
Unter 150 Metern dickem Eis, in bis zu 1.300 Metern Tiefe, fanden die Forscher Tiere wie Eisfische, riesige Seespinnen, Korallen, Schwämme und Oktopusse. Einige dieser Lebewesen könnten völlig neue Arten sein. Doch wie konnte dort, fern von Sonnenlicht und mit begrenzten Nährstoffen, ein solch reiches Leben gedeihen?
Normalerweise ernähren sich Meeresbewohner in großen Tiefen von sogenanntem „marinem Schnee“ – herabfallendem organischem Material wie abgestorbenen Tieren, Pflanzenresten und Fäkalien. Doch unter jahrhundertealtem Eis schien diese Nahrungsquelle abgeschnitten.
Die Wissenschaftler vermuten nun, dass Meeresströmungen Nährstoffe in das abgeschlossene Gebiet transportieren – ein Vorgang, der bisher kaum erforscht ist. „Dass wir so große Tiere finden, ist äußerst ungewöhnlich“, sagte Meeresbiologe Andrew Thurber.
Technik und Mut führten zur Entdeckung
Zum Einsatz kamen autonome Unterwasserfahrzeuge, sogenannte Glider, die es erlauben, in solchen extremen Tiefen Daten zu sammeln. Doch laut den Forschern ist das Arbeiten unter massivem Eis technologisch noch immer eine Herausforderung. „Man schickt nicht einfach einen Roboter unter das Eis – es ist viel komplizierter“, erklärte Thurber.
Douglas McCauley, Ozeanwissenschaftler an der University of California, lobte den Mut des Teams, den ursprünglichen Forschungsplan zu verlassen: „Manchmal entstehen die besten Entdeckungen, wenn man bereit ist, alles umzuschmeißen und auf eine Gelegenheit zu reagieren.“
Offene Fragen – und ein Wettlauf mit der Zeit
Eine der zentralen Fragen ist nun: Können diese Tiere auch ohne das schützende Eisdach überleben? Manche Arten sind ortsgebunden – sie können sich nicht an veränderte Bedingungen anpassen. Erst zukünftige Expeditionen werden zeigen, wie sich das Ökosystem entwickelt.
Zudem stellt sich die Frage, wie mit diesen neu freigelegten Meeresregionen umzugehen ist. Schutzgebiet oder wirtschaftliche Nutzung? Die Antarktis gilt als eine der letzten weitgehend unberührten Regionen der Erde – doch der Klimawandel macht solche Entdeckungen zur neuen Realität.
„Wir stehen als globale Gemeinschaft vor der Entscheidung: Erhalten oder ausbeuten?“, so Thurber.
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