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Vor zehn Jahren ging das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderte Internetportal Lebensmittelklarheit.de an den Start. Seitdem melden Verbraucher:innen dort Produkte und Werbebotschaften, von denen sie sich in die Irre geführt sehen. Ziel ist es, Verbraucher:innen aufzuklären, Hersteller zu verbraucherfreundlicher Kennzeichnung zu bewegen und den politischen Handlungsbedarf aufzuzeigen.

Seit dem Start vor zehn Jahren hat das Expertenteam von Lebensmittelklarheit.de tausende Verbraucherbeschwerden bearbeitet und mehr als 2.000 Fragen von Verbraucher:innen zur Lebensmittelkennzeichnung beantwortet. Rund ein Drittel der Hersteller änderte nach Beschwerden die Kennzeichnung oder Werbung freiwillig. 220 Mal haben der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) oder die Verbraucherzentralen Hersteller aufgrund von Beschwerden abgemahnt, in 40 Fällen wurde Klage erhoben. Die Erfolgsquote beträgt über 70 Prozent.

„Das ist ein Erfolg für die Verbraucherzentralen und den vzbv, die das Projekt gemeinsam stemmen“, sagt Klaus Müller, Vorstand des vzbv. „Politisch gibt es noch viel zu tun. Wir brauchen bessere Kennzeichnungsregeln, die für mehr Klarheit und Wahrheit auf Lebensmitteletiketten und in der Werbung sorgen. Das Projekt Lebensmittelklarheit identifiziert seit zehn Jahren die wichtigsten Ärgernisse der Verbraucher:innen. Es ist an der Politik, diese zu beseitigen, denn das Thema Ernährung wird für die Menschen immer wichtiger.“

Größte Aufreger für Verbraucher:innen

Monatlich gehen derzeit etwa 40 Beschwerden von Verbraucher:innen ein, die sich in die Irre geführt fühlen. Seit dem Start des Portals gab es knapp 12.000 Beschwerden. Wiederkehrende Aufreger sind dabei:

  • Werbung mit „Alibi-Zutaten“: Auf der Verpackung wird mit einer speziellen oder besonders hochwertigen Zutat geworben. Tatsächlich ist diese aber nur in Kleinstmengen im Produkt enthalten. Stattdessen besteht das Produkt hauptsächlich aus anderen, oft preiswerteren Zutaten. Der für die hervorgehobene Zutat typische Geschmack und die typische Farbe stammen häufig aus zugesetzten Aromen und Farbstoffen. Das ist zwar rechtlich meist zulässig, aber trotzdem ein großes Ärgernis für Verbraucher:innen.
  • Überzogene Gesundheitsversprechen: Insbesondere Nahrungsergänzungsmittel wie Vitaminpräparate werden immer wieder mit überzogenen und zum Teil rechtlich nicht zulässigen Gesundheitsangaben beworben. Im vergangenen Jahr mahnte der vzbv einzelne Anbieter juristisch ab, die suggeriert hatten, ihre Präparate schützten vor einer Corona-Infektion.
  • Werbung mit regionaler Herkunft: Regionalität ist ein Marketing-Trend, mit dem sich in der Lebensmittelbranche gute Umsätze erzielen lassen. Bei vielen verpackten Lebensmitteln können Käufer aber nicht erkennen, woher die Rohstoffe stammen. Einige Hersteller nutzen das aus, um falsche Erwartungen zu wecken. So wirbt ein Geflügelwursthersteller beispielsweise damit, Fleisch von „regionalen Höfen“ zu verwenden, obwohl es aus ganz Deutschland kommen kann und nicht aus der Region stammen muss, in der Verbraucher:innen das Produkt kaufen.
  • Produktbezeichnungen, die einen falschen Eindruck von der Zusammensetzung vermitteln: „Rindswurst“ beispielsweise darf im Schweinedarm abgefüllt werden, ohne dass dies auf der Vorderseite gekennzeichnet werden muss. Das ist für Verbraucher:innen, die streng auf Schweinefleisch verzichten, ein Problem. Diese Kennzeichnungsregel ist keine gesetzliche Regelung, sondern ein Leitsatz des Deutschen Lebensmittelbuchs. Sowohl Lebensmittelüberwachung als auch Hersteller orientieren sich daran. In vielen Fällen stellen die Leitsätze keine klare und verbraucherfreundliche Kennzeichnung sicher.
Verbraucherforschung ermittelt politischen Handlungsbedarf

Ein Großteil der Kennzeichnungspraktiken, über die Verbraucher:innen sich bei Lebensmittelklarheit.de beschweren, ist unter den aktuellen gesetzlichen Vorgaben legal. Der vzbv sieht deshalb an vielen Stellen Änderungsbedarf bei den gesetzlichen Vorgaben. Regelmäßige repräsentative Verbraucherbefragungen und gezielte Marktchecks erlauben es dem Projekt Lebensmittelklarheit über einzelne Verbraucherbeschwerden hinaus zu erheben, wie gute und transparente Lebensmittelkennzeichnung aus Verbrauchersicht aussehen sollte.

Bessere Kennzeichnungsregeln gefordert

„Die nächste Bundesregierung sollte sich ein Programm für gute Lebensmittelkennzeichnung vornehmen. Entscheidend für alle Kennzeichnungsregeln muss sein, dass sie möglichst einheitlich und verbindlich für alle Anbieter sind und die Mehrheit der Verbraucher:innen die Angaben als klar, verständlich und verlässlich empfinden“, so Klaus Müller.

Besondere Priorität muss die Einführung einer verbindlichen Kennzeichnung für Nährwerte, Herkunft, Regionalität, Tierwohl und Nachhaltigkeit auf EU-Ebene haben. Auch eine Reform der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs ist notwendig. Entscheidendes Kriterium muss dabei künftig das Verbraucherverständnis sein, das mithilfe repräsentativer Verbraucherforschung ermittelt und deutlich stärker als bisher gewichtet werden muss.

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