Mit Urteil vom heutigen Tag hat die für das Patentrecht zuständige 21. Zivilkammer des Landgerichts München I ihre bereits erlassene einstweilige Verfügung wegen Ver-letzung des Rechts auf Marktexklusivität für seltene Leiden überwiegend bestätigt (21 O 6235/23).
Die von einem Wettbewerber im Arzneimittelsektor verklagten Pharmaunternehmen wurden im einstweiligen Rechtsschutz zur Unterlassung des Vertriebs ihres Medika-ments für seltene Leiden ohne bestimmte, im Einzelnen im Tenor benannte beglei-tende Maßnahmen zum Schutz des Orphan Drug-Marktexklusivitätsrechts der Verfü-gungsklägerin verurteilt.
Die Unternehmensgruppe der Verfügungsklägerin vertreibt ein Medikament, das für vier seltene Krankheiten zugelassen ist: die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie („PNH“), das atypische Hämolytisch-Urämische Syndrom („aHUS“), die refraktäre generalisierte Myasthe-nia Gravis („gMG“), und Neuromyelitis-Optica-Spektrum-Erkrankungen („NMOSD“).
Für drei der Krankheiten, nämlich aHUS, gMG und NMOSD hält sie neben der Marktzulassung auch Exklusivitätsrechte für seltene Leiden gemäß der Verordnung (EG) 141/2000. Für die Krankheit PNH ist das Marktexklusivitätsrecht bereits abgelaufen.
Die Unternehmensgruppe der Verfügungsbeklagten hat für ihr Medikament, ein sog. Biosimi-lar zu dem Referenzprodukt der Klägerin, die Zulassung für die Indikation PNH erlangt und es auf den deutschen Markt gebracht. Nach Erlass der Beschlussverfügung wurde das Medi-kament wieder vom Markt genommen.
Zur Überzeugung der Kammer liegen die Voraussetzung für die Gewährung einer Unterlas-sungsverfügung vor.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass die Orphan-Drugs-Verordnung nur ein (öffentlich-rechtliches) Zulassungsverbot ausspreche, aus dem sich kein zivilrechtlicher Verbotsan-spruch gegen Wettbewerber herleiten lasse.
Die Kammer bejahte gleichwohl einen zivilrechtlichen Verbotsanspruch. Das Marktexklusivi-tätsrecht der Verordnung 141/2000/EG für orphan drugs ist nach der Überzeugung der Kam-mer recht. Inhalt des vom Verordnungsgeber gewährten Marktexklusivitätsrechts ist es je-denfalls auch, gegenüber Wettbewerbern Schutz vor Beeinträchtigungen oder Verletzungen der gewährten Marktexklusivität für orphan drugs zu gewähren. Nach dem Verständnis der Kammer wollte der Verordnungsgeber mit dem Marktexklusivitätsrecht eine über die bloße Zulassungssituation hinausgehende Rechtsposition schaffen. Das Marktexklusivitätsrecht ist
nach der Verordnung der maßgebliche Anreiz für Investitionen im Bereich der orphan drugs. Das kann nur gelingen, wenn (über die regulatorische Zulassungssituation hinaus) dem Inha-ber die Möglichkeit gegeben wird, individuell gegen Umgehungen seines Rechts vorzuge-hen.
Die Kammer ist der Auffassung, dass die Verfügungsbeklagten als sog. mittelbare Hand-lungsstörer durch Empfehlungsschreiben einen adäquat-kausalen Beitrag für eine indikati-onsübergreifende Verwendung ihres Medikaments auch in den drei für die Unternehmens-gruppe der Klägerin geschützten Indikationen gesetzt haben. Die von der Verfügungskläge-rin glaubhaft gemachte Begehungsgefahr haben die Verfügungsbeklagten bis zum maßgebli-chen Schluss der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt. Rechtsfolge ist die Anordnung, das angegriffene Medikament nicht ohne bestimmte, im Tenor benannte Schutzmaßnahmen zu vertreiben.
Die Erhebung der Hauptsacheklage ist angeordnet.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Zum Hintergrund:
Der Begriff „Orphan Drug“ steht für Medikamente, die für die Behandlung seltener Krank-heiten vorgesehen sind. Sie werden auch als „Arzneimittel für seltene Leiden“ bezeichnet. Diese Medikamente sind wegen ihres teilweisen sehr kleinen Marktes, da sie nur bei selte-nen Erkrankungen zum Einsatz kommen, und wegen ihres daher geringen Umsatzes für die pharmazeutische Industrie nach Einschätzung der EU-Kommission nicht interessant.
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