Bluesky, ein Konkurrent von Elon Musks Plattform X (ehemals Twitter), erlebt derzeit einen massiven Nutzeransturm. In den letzten 90 Tagen hat sich die Zahl der Bluesky-User verdoppelt, und allein in der vergangenen Woche verzeichnete die Plattform eine Million Neuanmeldungen. Insgesamt zählt Bluesky jetzt mehr als 15 Millionen Nutzer. Der jüngste Zuwachs wird vor allem auf die umstrittene Rolle Musks während der US-Präsidentschaftswahl und die anschließende Wahl Donald Trumps zum Präsidenten zurückgeführt.
Die Stimmung auf X hat sich währenddessen drastisch verändert: Musk nutzte die Plattform monatelang, um Trump zu unterstützen, und das hat seine Spuren hinterlassen. Forscher verzeichnen vermehrt sexistische Inhalte und Parolen wie „Your body, my choice“. Hinzu kommen Musks frühere Entscheidungen, die Moderation zu reduzieren, gesperrte Accounts wiederherzustellen und das Verifizierungssystem zu ändern, sodass jeder, der zahlte, ein blaues Häkchen erhielt – unabhängig von den Inhalten. Diese Schritte schadeten dem Anzeigengeschäft von X erheblich.
Prominente Abgänge
Diese Entwicklungen haben eine Reihe prominenter Persönlichkeiten dazu veranlasst, X den Rücken zu kehren und zu Bluesky zu wechseln. Unter den Abgängern befinden sich Atlantic-Journalist Charlie Warzel, Mara Gay von der New York Times und der ehemalige CNN-Moderator Don Lemon. Auch die britische Zeitung The Guardian kündigte an, keine Inhalte mehr über ihre offiziellen Kanäle auf X zu verbreiten. Stattdessen bezeichnete das Blatt die Plattform als „toxisches Medium“.
Hype um Bluesky – aber das Ende von X?
Trotz des Hypes um Bluesky sollte man nicht vorschnell das Ende von X ausrufen. Als privates Unternehmen veröffentlicht X keine Nutzerzahlen, und Schätzungen von Drittanbietern zeichnen ein gemischtes Bild. Klar ist jedoch, dass das kontinuierliche Wachstum, das X vor Musks Übernahme verzeichnete, in den letzten zwei Jahren ins Stocken geraten ist. Trotzdem hat X bisher alle Konkurrenten überstanden – inklusive Threads von Meta – und bleibt relevant, auch wenn viele seiner Nutzer mit der neuen Ausrichtung unzufrieden sind.
„Die Nutzung von X ist auf einem Allzeithoch und steigt weiter an“, erklärte X-CEO Linda Yaccarino am Mittwoch. „Egal welche politischen Ansichten oder Interessen unsere Nutzer haben – X bleibt ein Ort für den freien und sicheren globalen Austausch.“
Massenausstieg nach der Wahl
Laut dem Analyseunternehmen Similarweb deaktivierten mehr als 115.000 Nutzer in den USA am Tag nach der Wahl ihre X-Accounts – der größte Tagesverlust seit Musks Übernahme. Diese Zahl berücksichtigt jedoch nur Deaktivierungen über die Webseite, nicht über die App.
Gleichzeitig verzeichnete X am selben Tag den höchsten Web-Traffic des Jahres: 46,5 Millionen Besuche auf Desktop-Geräten, ein Anstieg von 38 % im Vergleich zu den Vormonaten. Auch Bluesky profitierte von der Wahl: Die täglichen Besuche stiegen am Wahltag und am Tag danach auf über 1,3 Millionen – von zuvor rund 800.000.
„Ob politische Faktoren die Nutzerbasis von X langfristig verringern werden, bleibt abzuwarten“, schrieb David Carr, Analyst bei Similarweb. Zwar habe X Spitzenwerte beim Web-Traffic erreicht, doch die Abwanderung der letzten Jahre sei nicht zu übersehen.
Ein weiteres Analyseunternehmen, Sensor Tower, berichtete von einem Anstieg der täglichen aktiven Nutzer auf X rund um den Wahltag. Doch während die X-Zahlen nach wenigen Tagen wieder abflachten, konnte Bluesky im gleichen Zeitraum einen 28-prozentigen Anstieg verzeichnen.
Engagement auf Bluesky zieht an
Ein wachsendes Argument für Bluesky ist die steigende Interaktionsrate. Trotz kleinerer Follower-Zahlen berichten viele Nutzer von höherem Engagement. Medienprofi Ed Zitron, Gründer von EZPR, erklärte gegenüber CNN, dass er auf X zwar 90.000 Follower habe, das Engagement jedoch nicht mehr der Reichweite entspreche. „Auf Bluesky sehe ich mehr Resonanz, obwohl ich dort weniger Follower habe. Mit dem aktuellen Wachstum von Bluesky wird es für X schwer, dominant zu bleiben.“
Ähnlich äußerte sich Mike Isaac von der New York Times: „Es ist verwirrend, von X, wo ein Post an 200.000 Follower gerade mal fünf Likes bekommt, zu Bluesky zu wechseln, wo der gleiche Post direkt 200 Likes einheimst.“
Musk: Verluste, die ihm egal sein könnten
Ob Musk die Abwanderung zu Bluesky überhaupt kümmert, ist fraglich. Seit seiner Übernahme hat X unter seiner Führung eine klare politische Wendung nach rechts vollzogen. X war die erste große Plattform, die Trumps Account nach der Sperre wegen des Angriffs auf das Kapitol wiederherstellte. Seitdem verbreitet Musk auch selbst falsche Informationen und unterstützt Trumps populistische Bewegung.
Die jüngsten Entwicklungen könnten Musk jedoch mehr eingebracht haben als nur einen Verlust an Nutzern und Werbeeinnahmen: direkten Zugang zum US-Präsidenten. Trump kündigte an, Musk in seine Regierung zu berufen – als Co-Leiter eines neuen „Ministeriums für Regierungseffizienz“.
Fazit: Ein Wettlauf mit ungewissem Ausgang
Bluesky mag zwar eine ernstzunehmende Alternative sein, aber X bleibt vorerst ein Schwergewicht. Die kommenden Monate werden zeigen, ob der Aufschwung von Bluesky nachhaltig ist oder ob die Nutzer – wie schon nach früheren Kontroversen – doch wieder zu X zurückkehren. Musk scheint das alles wenig zu kümmern. Sein Fokus liegt offenbar längst auf neuen Machtpositionen – und weniger auf dem Erhalt eines digitalen „Marktplatzes der Meinungen“.
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