Im Herbst 2024 wurden gegen die ALSTOM Transportation Germany GmbH insgesamt 816 Klagen von Beschäftigten eingereicht. Diese Klagen betreffen Forderungen nach zusätzlichem Urlaubsgeld für das Kalenderjahr 2024. Besonders betroffen sind die Werke des Unternehmens in Görlitz mit 333 Klagen sowie in Bautzen mit den übrigen 483 Verfahren. Die Klagen wurden durch den Deutschen Gewerkschaftsbund beim Arbeitsgericht Bautzen eingereicht und werfen ein Schlaglicht auf den schwelenden Tarifkonflikt zwischen der Belegschaft und dem Unternehmen.
Streitpunkt: Urlaubsgeld und Kündigung eines Tarifvertrags
Grundlage der Klagen ist der Anspruch auf eine zusätzliche Urlaubsvergütung, die im Einheitlichen Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Sachsen (EMTV) festgelegt ist. Nach diesem Vertrag steht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Urlaubsgeld zu, das jährlich zusätzlich gezahlt werden muss.
Im Juli 2023 hatte jedoch die Gewerkschaft IG Metall gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden einen „Zukunftstarifvertrag“ (Z-TV) abgeschlossen, der für die deutschen Standorte von ALSTOM besondere Regelungen vorsah. Ziel des Z-TV war es, einen drohenden massiven Personalabbau abzuwenden. Im Gegenzug wurde vereinbart, dass die Zahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung ausgesetzt wird, solange die Betriebe nicht eine bestimmte Produktivitätssteigerung erreichen.
Die IG Metall hat diesen Z-TV inzwischen jedoch fristlos gekündigt, da offenbar keine Einigung über die Bedingungen erzielt werden konnte. Die Arbeitgeberverbände reagierten daraufhin mit einer Verbandsklage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main, um feststellen zu lassen, dass die Kündigung unwirksam ist. Dieser juristische Streit verschärft die Situation zusätzlich und sorgt für Unsicherheit auf beiden Seiten.
Hohe Arbeitsbelastung beim Arbeitsgericht Bautzen
Die enorme Anzahl der eingereichten Klagen stellt das Arbeitsgericht Bautzen vor große Herausforderungen. Das Gericht, das über eine vergleichsweise kleine personelle Ausstattung verfügt, wird nun von den Verfahren gegen ALSTOM massiv belastet. Insgesamt arbeiten dort aktuell vier Richterinnen und Richter, von denen einige zeitweise abgeordnet oder freigestellt sind, sowie neun weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Bereits vor den ALSTOM-Verfahren war das Arbeitsgericht stark ausgelastet. Im Jahr 2024 wurden bis Ende November 2.218 Klagen und Anträge eingereicht, was einer Steigerung von 50 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Die zusätzlichen ALSTOM-Klagen sorgen für eine weitere Zunahme des Arbeitsanfalls, sodass Verzögerungen auch in anderen Verfahren nicht auszuschließen sind.
Arbeitskampf mit weitreichenden Folgen
Der Konflikt zwischen ALSTOM, den Gewerkschaften und den Beschäftigten zeigt exemplarisch, wie komplex Tarifstreitigkeiten in der modernen Arbeitswelt sein können. Besonders in Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie, die von globalem Wettbewerb und wirtschaftlichem Druck geprägt sind, stehen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände häufig vor schwierigen Verhandlungen.
Für die Belegschaft geht es um mehr als nur das Urlaubsgeld. Viele Beschäftigte sehen in der fristlosen Kündigung des Z-TV durch die IG Metall ein notwendiges Mittel, um sicherzustellen, dass arbeitsvertraglich zugesicherte Leistungen wie das Urlaubsgeld nicht dauerhaft ausgesetzt werden. Die Arbeitgeberseite hingegen argumentiert, dass der Z-TV ein entscheidender Schritt sei, um Arbeitsplätze an den deutschen Standorten langfristig zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Wie geht es weiter?
Die Klagen beim Arbeitsgericht Bautzen stehen noch aus, und ihre Bearbeitung könnte sich angesichts der Arbeitsbelastung des Gerichts hinziehen. Parallel dazu wird die Entscheidung des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main über die Wirksamkeit der Kündigung des Z-TV mit Spannung erwartet. Sollte das Gericht die Kündigung für unwirksam erklären, könnte dies die rechtliche Grundlage der Klagen in Bautzen erheblich beeinflussen.
Fazit:
Der Tarifstreit bei ALSTOM Transportation Germany GmbH ist ein Lehrstück für die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn wirtschaftlicher Druck und Arbeitnehmerrechte aufeinanderprallen. Während die Beschäftigten ihr Recht auf vertraglich zugesicherte Zahlungen einfordern, kämpft das Unternehmen darum, wettbewerbsfähig zu bleiben. Die anstehenden Gerichtsentscheidungen könnten weitreichende Auswirkungen nicht nur auf ALSTOM, sondern auch auf ähnliche Konflikte in der Industrie haben.
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