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Michael Kretschmer: Der Trotzminister auf diplomatischer Odyssee

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Es gibt Dinge, die Michael Kretschmer nicht mag. Zum Beispiel, wenn die Dinge nicht nach seinem Kopf gehen. In solchen Momenten wird er zum lebenden Lehrbuchfall eines beleidigten Politikers: Lippen schmal wie ein Briefumschlag, die Stimme so scharf wie ein frisch geschliffenes Messer, und der berühmte Kretschmer-Charme? Der löst sich schneller in Luft auf, als man „Brombeer-Koalition“ sagen kann.

Am Mittwochnachmittag gab es ein besonders schönes Spektakel dieser Art zu bestaunen. Da betrat der Ministerpräsident das Podium, um die gescheiterten Sondierungsgespräche zu kommentieren. Ein routiniertes Lächeln huschte ihm kurz übers Gesicht – gerade lange genug, um die Kameras zufrieden zu stellen. Profi bleibt Profi, selbst wenn es innerlich kocht. Doch kaum hatte der Auftritt begonnen, verwandelte sich Kretschmers Miene minütlich in eine Studie der schlechten Laune. Die Pressekonferenz zog sich dahin, während der Regierungschef mit zunehmender Genervtheit wie ein schlecht gelaunter Zauberschüler aus Hogwarts zwischen genervtem Blick und Schnuteziehen wechselte.

Nach seinem Anfangsstatement machte er sich rar. Lieber ließ er CDU-Fraktionschef Christian Hartmann und SPD-Chef Henning Homann die unangenehmen Fragen beantworten. Wenn Kretschmer dann doch angesprochen wurde, glich seine Antwort oft einem knappen „Ja, nein, vielleicht.“ Seine Körpersprache schrie förmlich: „Ich habe Besseres zu tun.“ Man könnte meinen, er habe sich insgeheim gewünscht, irgendwo am anderen Ende Sachsens Brombeeren zu pflücken, anstatt sich mit Journalistenfragen herumzuschlagen.

Vom Wahlkampfhelden zum diplomatischen Desaster

Kretschmer hat es tatsächlich geschafft, die CDU in eine politische Sackgasse zu manövrieren. Sein Wahlkampf war ein wahres Meisterwerk des Opportunismus. Im September 2023, bei einer Regionalkonferenz in Riesa, stellte er unmissverständlich klar: „Wir wollen eine Regierung ohne die Grünen bilden!“ Damit war der Ton gesetzt. Die sächsische CDU nahm im Wahljahr Kurs auf eine grüne Abrissparty, die selbst den treuesten Parteimitgliedern hin und wieder Kopfschmerzen bereitete. Höhepunkt dieser Charmeoffensive war ein Social-Media-Beitrag, der einen Rasenmäher zeigt, begleitet vom Slogan: „Grün in Sachsen kurz halten.“ Subtilität, thy name is Kretschmer.

Doch wie das Schicksal so spielt, hatte Kretschmer bei seiner ganzen Anti-Grünen-Strategie übersehen, dass er vielleicht am Ende trotzdem auf eine handlungsfähige Koalition angewiesen sein könnte. Nachdem die Grünen im Landtag nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde schrammten und die AfD als zweitstärkste Kraft zurückließ, blieb Kretschmer nur noch die „Brombeer-Option“ mit SPD und BSW. Das Bündnis, benannt nach der Lieblingsfrucht des Ministerpräsidenten, platzte jedoch grandios, als die BSW plötzlich keine Lust mehr auf Kompromisse hatte – oder wie Kretschmer es so elegant formulierte: „Diese Entscheidung wurde in Berlin getroffen.“ Übersetzung: Schuld sind natürlich immer die anderen.

Ein Ministerpräsident ohne Plan B

Und nun? Jetzt steht Kretschmer da wie ein Schüler, der die Hausaufgaben verschlampt hat und sich mit Ausreden retten will. Die Optionen sind überschaubar: Minderheitsregierung mit der SPD? Neue Wahlen? Ein Kaffeekränzchen mit der AfD? Allesamt keine besonders rosigen Aussichten. Vor allem Letzteres blockt Kretschmer rigoros ab, was ihm immerhin Pluspunkte einbringt – zumindest bei denjenigen, die noch daran glauben, dass der Ministerpräsident den sächsischen Regierungszug wieder auf die Schienen bekommen könnte.

Die Grünen, die inzwischen ihre Rolle als geduldige Zuschauer perfektioniert haben, sehen das eher skeptisch. Ihre Fraktionsvorsitzende Franziska Schubert brachte es kürzlich auf den Punkt: „Der Ministerpräsident trägt die Hauptverantwortung für diesen Schlamassel.“ Tatsächlich spricht man intern bei den Grünen längst von Kretschmer als „oberstem Wutbürger Sachsens“. Ein Titel, der ihm wohl auch in der CDU zunehmend Sympathiepunkte kostet, selbst wenn ihn offiziell noch keiner ernsthaft infrage stellt.

Zwischen Zwickmühle und Selbstinszenierung

Natürlich wird in der CDU niemand laut Kretschmer die Schuld an diesem Schlamassel geben. Das tut man nicht. Stattdessen wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Sein Auftritt am Mittwoch? Wenig schmeichelhaft, heißt es. Die Patzigkeit, die Schnippigkeit – das alles fiel selbst seinen Parteifreunden unangenehm auf. Und die Frage, ob er nicht vielleicht doch etwas über die Stränge geschlagen hat im Umgang mit den Grünen? „Nein“, so Kretschmers Antwort, knapp und schnörkellos. Versöhnung? Fehlanzeige.

Doch Kretschmer wäre nicht Kretschmer, wenn er nicht wüsste, wie man sich immer wieder neu erfindet. Vom liberalen Hoffnungsträger der Sachsen-CDU wandelte er sich zum konservativen Landesvater, dann zum Russland-Versteher und schließlich zum obersten Brombeer-Fan. Es wäre keine Überraschung, wenn er in ein paar Monaten wieder in einer neuen Rolle glänzt – vielleicht als Architekt einer Minderheitsregierung, die er als Triumph seiner politischen Raffinesse verkauft.

Und die Moral von der Geschicht’?

Am Ende bleibt nur eines sicher: Kretschmer wird weiterhin lächeln, zumindest solange die Kameras auf ihn gerichtet sind. Was hinter den Kulissen geschieht, bleibt – wie immer – eine andere Geschichte. Ob es ihm gelingt, Sachsen aus dem politischen Chaos zu führen, oder ob er am Ende als trauriger Spieler das Spielfeld verlässt, bleibt abzuwarten. Eines hat er aber schon jetzt bewiesen: Niemand beherrscht die Kunst des politischen Trotzens so meisterhaft wie Michael Kretschmer.

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