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MLM und Haftungsrisiken von Rechtsanwalt Daniel Blazek

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Das Multi-Level-Marketing zeichnet sich dadurch aus, dass der Kunde sich auch in die künftige Absatzkette einfügen und selbständiger Vertriebspartner werden kann. Es handelt sich um eine besondere Form des strukturierten Direktvertriebs. Zumeist werden Gegenstände zum Kauf angeboten, denen ein Sachwert innewohnt, aber auch virtuelle Werte oder Kapitalanlagen sind denkbar. Aus Sicht des Finanzdienstleisters, aber auch des allgemeinen Vertriebs stellt sich die Frage, inwieweit diese auf Schadensersatz wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) in Anspruch genommen werden kann, wenn der abgeschlossene Vertrag in Schieflage gerät.

Wer glaubt, dass eine Sache oder ein Recht als Vertriebsgegenstand deshalb von vornherein haftungssicher sei, weil der Käufer den innewohnenden Gegenwert erwerbe, der möge sich bekannte Komplexe vor Augen führen, in denen mehrere eine Sache nutzen wollten (z.B. Solaranlagen, Container, Immobilien, Blockheizkraftwerke, PC-Systeme), kaufen und den Zwischenhandel fördern wollten (z.B. Edelmetalle, Immobilien), virtuelle private Währungen erwerben und nutzen oder sonstige Geschäftsideen unterstützen wollten – und sich nun aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, strafrechtlich relevantem Verhalten, gescheiterten Plattformen, Insolvenzen und/oder Intransparenz gegenüber sehen. Das Geld ist womöglich verloren oder verschoben, die Ware unbrauchbar, teilweise existiert sie nicht physisch, Eigentumsverhältnisse oder Herausgabeansprüche sind ungeklärt. In solchen Konstellationen wird es nicht lange dauern, bis die Käufer/Anleger sich anwaltlichen Rat suchen und mit dem Finger auf den MLM-Vertrieb zeigen.

  1. Potenzielle Pflichtverletzung

Eine Pflichtverletzung kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn der Netzwerkpartner über entscheidungserhebliche Eigenschaften der Sache oder des Rechts, welche bzw. welches vertrieben wird, vor dem Vertragsschluss falsch aufklärt, sei es über tatsächliche Eigenschaften oder rechtliche.

Im Bereich der Kapitalanlagen kommt diesbezüglich die gesamte bisherige Rechtsprechung zu einzelnen Pflichtverletzungen im Bereich der anlage- und anlegergerechten Beratung in Frage. Ob es sich beim jeweiligen Vertriebsgegenstand um eine Kapitalanlage handelt, muss im Einzelfall bestimmt werden anhand einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Neben klassischen Vermögensanlagen oder Investmentvermögen kommt alles in Betracht, was primär dem Zweck der Gewinnerzielung und nicht etwa vornehmlich dem Verbrauch, der Nutzung oder dem Tauschhandel, dient, z.B. Immobilien, Versicherungen, Solaranlagen, Direkt- oder Sachwertinvestments; vgl. BGH IV ZR 164/11 (U. v. 11. Juli 2012 bzgl. kapitalbildenden Versicherungen als Anlage); BGH III ZR 308/15 (U. v. 23. Juni 2016 bzgl. Eigentumswohnungen als Anlage).

Auch bei anderen Vertriebsgegenständen können im Einzelfall Fragen der gewerberechtlichen Erlaubnis, der Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz, der Illegalität oder ungeklärten Rechtslage im Allgemeinen, der Gebrauchstauglichkeit bzw. Mängelanfälligkeit, Untauglichkeit für den jeweiligen Käufer etc. aufklärungspflichtig sein. Weiß der Vertriebspartner davon und unterschlägt sein Wissen, bevor der Kunde den Vertrag schließt, besteht eine Haftungsgefahr.

 

  1. Abgrenzung vom Tippgeber

Dies gilt jedoch nur, wo auch eine vertragliche Aufklärungspflicht besteht. Diese entfällt jedoch beim (reinen) „Tippgeber“. Zur Tippgeber-Eigenschaft hat der BGH im Bereich des Versicherungsrechts entschieden: „Die Abgrenzung der Versicherungsvermittlung von einer Tätigkeit, die ausschließlich darauf gerichtet ist, Kontakte zwischen einem potentiellen Versicherungsnehmer und einem Versicherungsvermittler herzustellen, richtet sich nach dem objektiven Erscheinungsbild der ausgeübten Tätigkeit“; BGH I ZR 7/13 (U. v. 28. November 2013), Leitsatz a). BaFin und Bundestag ergänzen: „Die Tätigkeit, die darauf beschränkt ist, Möglichkeiten zum Abschluss von Versicherungsverträgen namhaft zu machen oder Kontakte zwischen einem potentiellen Versicherungsnehmer und einem Versicherungsvermittler oder einem Versicherungsunternehmen herzustellen, stellt jedoch keine Vermittlung im Sinne des § 34d dar […] weil sie als vorbereitende Handlung […] nicht auf eine konkrete Willenserklärung des Interessenten zum Abschluss eines Vertrages, der Gegenstand der Vermittlung ist, abzielt“; vgl. BT-Drucks. 16/1935, S. 17.

 

Macht der Vertriebspartner also lediglich einen Produktgeber namhaft und stellt ausschließlich den Kontakt her zwischen Kunde/Käufer/Anleger und dessen Vertragspartner, so besteht gerade keine Aufklärungspflicht, die verletzt werden könnte. Dies beurteilt sich aber nicht nach der getroffenen Vertriebsvereinbarung oder dem Wunsch aller Beteiligten, sondern nach der tatsächlich gelebten Tätigkeit. Übernimmt der „Tippgeber“ die Erläuterung des Produkts auch nur teilweise (stellt er also nicht „ausschließlich“ den Kontakt her), begibt er sich in die Haftungsfalle. Jedenfalls wird dann diskutabel, welches Wissen er besser hätte vermitteln sollen.

  1. Sonderfall Straftaten

Leider stehen bisweilen Straftaten im Raum, sei es, weil die Verwendung der von den Käufern geleisteten Gelder nicht vertragsgemäß erfolgt sein soll, die Vertriebsobjekte von Anfang an negative Eigenschaften aufwiesen und Käufer planmäßig zu Schaden kamen, dass eine aufsichtsrechtliche Genehmigung fehlte (was auch strafbar sein kann, siehe § 54 KWG) oder dass eine funktionierende Plattform einfach nicht bereit gestellt wurde, jedoch gerade notwendiger (und bezahlter) Bestandteil des MLM hätte sein sollen. Weiß ein Vertriebspartner davon, während er einem Kunden einen Tipp gibt oder gar weitergehend informiert, steht unter Umständen die Förderung von Straftaten oder eine Schadensersatzpflicht aus Delikt an, wenn der Kunde daraufhin Geld leistet.

  1. Kundenkontakt

Für alle potenziell Haftenden gilt zudem, dass grundsätzlich informatorischer Kontakt zum Kunden bestanden haben muss. Die über dem letzten, kundennahen Vertriebspartner stehende Struktur, die einen solchen direkten Kundenkontakt nicht hatte, kann weder falsch informieren, noch sich ohne Weiteres an einer Tat eines anderen beteiligen, soweit dies eben Kundenkontakt erfordert und nicht allein aus der organisatorischen (Mit-)Verantwortlichkeit hergeleitet werden soll. Mögliche Haftungsadressaten sind also die letzten Vertriebspartner in der Kette.

  1. Potenziell Geschädigte

Wenn die Hürde des Tippgebers (oder des Delikts) genommen werden sollte, stellt sich die Frage, wer Geschädigter sein kann. Als Anspruchsteller kommen in erster Linie nur die Endkunden in Betracht. Allerdings wird dies bei denjenigen Endkunden schwer, die ihrerseits bereits Vertriebspartner sind, da sie entweder nur Kontakt zu einem weiteren Vertriebspartner haben oder selbst Kunden gegenüber einen Tipp geben oder weitergehend erläutern, aber eben nicht mehr ausschließlicher Endkunden sind und ihr eigenes Geld in den jeweiligen Vertrag umsetzen.

  1. Potenzieller Schaden

Schließlich steht in Frage, worin genau der geltend gemachte Schaden bestehen soll. Er kann grundsätzlich nur dann voll in der Zahlung liegen, wenn der Endkunde/Käufer/Anleger keinen Gegenwert erworben hat oder der Vertragsgegenstand wertlos ist. Bei Sachwerten kann dies wohl noch einigermaßen eruiert werden, falls der Endkunde alleiniger Berechtigter oder Eigentümer geworden ist. Doch wie sieht es bei Rechten aus, virtuellen Werten oder hinsichtlich der eigenen Gewinnerwartung in der Struktur? Hier wird der Schaden schwer zu beziffern sein. Zu erwarten ist, dass ein jeweiliger Kläger das gezahlte Geld verlangen wird gegen Abtretung oder Übertragung des Vertragsgegenstandes.

  1. Fazit

Der MLM-Vertriebspartner muss darauf achten, sich tatsächlich wie ein reiner Tippgeber zu verhalten (Namhaftmachung, Kontaktvermittlung, keine Produkterläuterung), wenn er nicht für vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzungen herhalten will. Gelingt dies, hat er grundsätzlich wenig zu befürchten. Etwas anderes gilt, wenn er von rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeiten oder möglicher Illeglität im Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand weiß und trotzdem den Absatz fördert. Im möglichen Feuer steht so oder so eher derjenige Vertriebspartner, der direkten Kontakt zum Endkunden hat, nicht jedoch die Personen in der übergeordneten Struktur ohne direkten Kundenkontakt. Potenzieller Anspruchssteller ist eher derjenige Endkunde, der nicht auch gleichsam MLM-Vertriebspartner ist.

 

Daniel Blazek, BEMK Rechtsanwälte, Mai 2017

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