Im Rahmen der Kinderuniversität Lichtenberg hielt Privatdozent Dr. Erik Kraatz, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Dr. Schulte und Partner, am 15. November 2014 eine Eltern-Vorlesung zum Thema „Posten, likten, teilen, mobben – Die rechtlichen Grenzen bei der Nutzung von Internetdiensten“ in den Räumen der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), Treskowallee 8, 10318 Berlin. Hierbei wurde nicht nur auf die Gefahren des Cybermobbings für die Opfer (beginnend bei Depressionen, bis hin zum Selbstmord, wie der Fall der Amanda Todd gezeigt hat) sowie auf Opferschutzseiten wie www.juuuport.de hingewiesen, sondern insbesondere auf Möglichkeiten, ehrverletzende Äußerungen wieder von Forenseiten entfernen zu lassen.
An diesem Beispiel wurden vertieft und an Beispielen verdeutlicht die allgemeinen Prinzipien des Internetrechts dargestellt:
- 1. Übertragungsgrundsatz
Die Infrastruktur des Internets liegt in privaten Händen, eine staatliche Eingriffsverwaltung sowie auf den Meinungsaustausch im Internet ausgelegte Rechtsregelungen existieren in Deutschland nicht. Dies bedeutet jedoch keine grenzenlose Freiheit, die auf der Kehrseite mit einer entgrenzten Schutzlosigkeit der Opfer verbunden wäre, sondern es gilt der sog. Übertragungsgrundsatz, d.h. die Rechtsregelungen der realen Welt sind grundsätzlich zu übertragen, wenngleich die Besonderheiten des Internets einzubeziehen sind. Prüfungsgrundsatz: Wie wird die Rechtsfrage offline beantwortet? Hier ist grundsätzlich ein Parallelfall zu bilden, etwa, wie die entsprechende Rechtsaussage in einem Meinungsforum zu bewerten wäre, wenn sie in einer Zeitung oder im Fernsehen im Rahmen einer Diskussion geäußert worden wäre.
Insbesondere bei ehrverletzenden Äußerungen im Internet ist grundsätzlich – wie sonst auch – die Meinungsfreiheit des Einzelnen gegen die geschützten Rechte Dritter (insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die eigene Ehre sowie das Recht am eigenen Bild [Foto] etc. beinhaltet) abzuwägen. Die hier in der realen Welt festgelegten Grenzen der freien Rede gelten auch im Internet: So unterfallen falsche, ehrverletzende Tatsachenbehauptungen (z.B. Sabine klaut immer Geld aus der Börse ihres Vaters) dem Straftatbestand der üblen Nachrede (§ 186 des Strafgesetzbuchs) und sollten daher unterbleiben. Dies gilt generell für ehrverletzende Tatsachenbehauptungen, da hier derjenige, der die Äußerung trifft, die materielle Beweislast für die Wahrheit der behaupteten Tatsache trägt und somit das volle (Verurteilungsrisiko) trägt, wenn der Beweis der Wahrheit der Tatsachenaussage vor Gericht (aus welchem Grund auch immer) nicht erbracht werden kann.
Eine weitere Grenze der freien Rede stellt der Beleidigungs-Tatbestand dar (§ 185 Strafgesetzbuch), der Angriffe auf die innere Ehre (sog. Selbstwertgefühl) oder/und die äußere Ehre (der gute Ruf) unter Strafe stellt. Zwar sind Werturteile grundsätzlich vom Recht zur freien Meinungsäußerung gedeckt, jedoch nur soweit sie nicht darauf gerichtet ist, die Persönlichkeit des anderen herabzusetzen, so dass nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des anderen im Mittelpunkt steht – der andere wird also bewusst „durch den Dreck gezogen“. Beispiel: „Sabine hat fettige Haare und stinkt“. Derartige Äußerungen sind nach dem Übertragungsgrundsatz gleichfalls im Internet strafbar. Zivilrechtlich kann deren Unterlassung und Beseitigung verlangt werden.
- 2. Grundsatz des Eigenschutzes im Internet
Hierbei gilt jedoch (leider) der sogenannte Grundsatz des Eigenschutzes im Internet: So gehen Gerichte wie die Diskussion in der Literatur davon aus, dass Betreiber von Meinungsforen oder Suchmaschinenbetreiber wie Google nicht ständig ihre Seiten nach rechtswidrigen Inhalten durchsuchen müssen, da dies unzumutbare Prüfpflichten bedeuten würde; vielmehr hat jeder Betroffene sich in erster Linie selbst zu schützen. Hierzu empfiehlt es sich, den eigenen Namen in gewissen Zeitabständen selbst zu googeln und die ausgegebenen Seiten nach verletzendem Inhalt zu überprüfen. Derartige Seiten sind Forenbetreibern oder Suchmaschinenbetreibern zu melden. Denn ansonsten würde man eine umfassende Pflicht von Foren- oder Suchmaschinenbetreibern statuieren, ihre Seiten ständig zu überwachen. Dies wird grundsätzlich als zu weitgehend und unzumutbar gehalten. Ausnahmen gibt es lediglich dort, wo ein Forenbetreiber einen Thread bewusst provozierend anmoderiert oder sich fremde Aussagen zu eigen macht.
- 3. Grundsatz der faktischen Wiederholung
Erst wenn seitens eines Nutzers konkrete rechtswidrige Äußerungen beanstandet werden, ist der Internet-Administrator verpflichtet, diese Kommentare von der Internetseite zu nehmen. Hierhinter steckt der „Grundsatz einer faktischen Wiederholung“, wie er rechtlich für Rechtsverletzungen in Funk und Fernsehen entwickelt wurde: Dort ist inzwischen anerkannt, dass die sog. mediale Privilegierung für rechtsverletzende Meinungsäußerungen in Live-Sendungen sich nicht auf Wiederholungen erstreckt, da dem Veranstalter hier die Möglichkeit offen steht, die durch eine Wiederholung erfolgende erneute Verbreitung von ihm bekannten ehrverletzenden Äußerungen Dritter während der Sendung durch eine Zensur zu verhindern; erfolgt dies nicht, so haftet der Veranstalter. Diese gleichen Grundsätze sind auf den Betreiber einer Internetseite übertragbar. Entfernt dieser den rechtswidrigen Inhalt auf eine konkrete Beanstandung hin nicht unverzüglich, wofür teilweise nur wenige Stunden seitens der Rechtsprechung zugebilligt werden, so kann er abgemahnt oder gegen ihn mittels einstweiliger gerichtlicher Verfügung vorgegangen werden.
- 4. Adressatentheorie
Die Reichweite der Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche des Verletzten (Beleidigten) richten sich hierbei nach dem konkreten Adressaten: Der Betreiber eines Internetforums hat (wie jeder Host-Provider) die ehrverletzende Äußerung vom Netz zu nehmen und mittels zuverlässiger Filtertechnik dafür zu sorgen, dass vergleichbare Inhalte nicht erneut auf der Internetseite landen.
Betreiber einer Suchmaschinenseite haben den Eintrag in ihren Suchmaschinen, der auf eine Seite mit rechtswidrigem Inhalt verweist, zu löschen sowie ihren Crawler entsprechend umzuprogrammieren, dass dieser Beitrag nicht zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund von Aktivitäten des Betreibers der entsprechenden Internetseiten oder Veränderungen bei der Programmierung der Suchmaschine wieder in die Ergebnisliste ausgenommen wird. Ein Access-Provider hat auf Mitteilung von Seiten mit ehrverletzendem Inhalt ihm zumutbare Maßnahmen zu treffend, z.B. DNS- oder IP-Sperren. Sofern der Adressat des Beseitigungsbegehrens mehrere Rollen inne hat, treffen ihn sämtliche entsprechende Pflichten.
Diese Grundsätze gilt es zu beachten, wenn man bestimmte ehrverletzende Äußerungen aus dem Internet entfernen lassen möchte. Exemplarisch wurde hierbei noch auf die prozessrechtlichen Schwierigkeiten einer Inanspruchnahme etwa von Google oder von WordPress, die ihren Sitz jeweils in den Vereinigten Staaten von Amerika haben, eingegangen, bevor die leider mal wieder viel zu kurze Zeit aufgebraucht war und die zuhörenden Eltern ihre Kinder abholten, die im Nachbarhörsaal einer Vorlesung zur Korruption lauschten.
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