Landgericht Hamburg
Beschluss
– Az.: 318 OH 1/16
In der Sache
Musterkläger (gem. § 9 Abs. 2 KapMuG vom Hanseatischen Oberlandesgericht zu bestimmen)
– Antragsteller – |
gegen
1) |
MPC Capital Investments GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer Jörn Ulf Klepper und Stephan Langkawel, Palmaille 67, 22676 Hamburg
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2) |
TVP Treuhand und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH & Co KG, vertreten durch d. Verwaltung TVP Treuhand GmbH, diese vertreten durch ihre jeweils einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer Tobias Boehncke und Dr. Christian Gerlach, Palmaille 67, 22767 Hamburg
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3) |
Reederei Claus-Peter Offen (GmbH & Co.) KG, vertreten durch d. persönl. haft. Gesellschafterin Verwaltungsgesellschaft Reederei Claus-Peter Offen mbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer Claus-Peter Offen, Claus Oliver Offen, Jan Hendrik Offen und Andreas Baron von der Recke, Bleichenbrücke 10, 20354 Hamburg
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Prozessbevollmächtigte zu 1 – 3:
Rechtsanwälte Könnecke, Naujok, Immermannstraße 35, 40210 Düsseldorf, Gz.: 2015-0619 MF/nc
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beschließt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 18 – durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Gravesande-Lewis, den Richter am Landgericht Rüther und die Richterin am Landgericht Wöhler am 21.04.2016:
I. |
Dem Hanseatischen Oberlandesgericht werden zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG folgende Feststellungsziele vorgelegt: |
1. |
Hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Antragsgegnerinnen wird festgestellt, dass:
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2. |
Hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit des Emissionsprospektes zur Beteiligungsgesellschaft MS „Santa-B Schiffe“ mbH & Co. KG wird festgestellt, dass der am 28.02.2006 veröffentlichte Emissionsprospekt zur Beteiligungsgesellschaft MS „Santa-B Schiffe“ mbH & Co. KG in erheblichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend, insbesondere in folgenden Punkten ist:
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II. |
Dieser Vorlagebeschlusses und das Datum seiner Veröffentlichung sind gemäß § 6 Abs. 4 KapMuG im Klageregister öffentlich bekannt zu machen. |
Gründe:
I.
Der Antragssteller begehrt die Rückabwicklung einer Beteiligung an einem geschlossenen Schiffsfonds im Wege des Schadensersatzes aus Prospekthaftung im weiteren Sinne bzw. vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung von den Antragsgegnern als Gründungskommanditisten einer Publikums-KG. Der Antragssteller zeichnete über die Antragsgegnerin zu 2) als Treuhandkommanditistin eine mittelbare Beteiligung an der Beteiligungsgesellschaft MS „Santa-B Schiffe“ mbH & Co. KG.
Grundlage des Beteiligungsangebots war der von der Antragsgegnerin 1) herausgegebene und am 28.02.2006 veröffentlichte Emissionsprospekt MS „Santa-B Schiffe“ mbH & Co. KG. Das Anlagekonzept sah vor, dass die Fondsgesellschaft, an der sich die Anleger beteiligten, in 14 Vollcontainerschiffe mit einer Containerkapazität von 1.800 bis 2.800 TEU je Schiff der sog. „MPC Offen Flotte“ investierte. Jedes dieser Schiffe wurde von einer eigenen GmbH & Co. KG betrieben (sog. Ein-Schiffgesellschaften), an denen sich jeweils die Fondsgesellschaft sowie auch die Beklagten zu 1) bis 3) direkt beteiligten (vgl. etwa § 4 des Gesellschaftsvertrages der Kommanditgesellschaft MS „Santa Balbina“ Offen Reederei mbH & Co. KG, Prospekt Seite 157).
Gemäß § 4 Ziff. 2 des Gesellschaftsvertrages (Seite 136 des Prospekts) waren die Antragsgegner Gründungskommanditisten der Fondsgesellschaft. Die Antragsgegnerin zu 1) firmierte seinerzeit unter MPC Münchmeyer Petersen Capital Vermittlung GmbH und war zugleich die Initiatorin des streitgegenständlichen Beteiligungsangebots und Herausgeberin des Verkaufsprospekts (Prospekt Seite 20). Zudem war sie mit der Einwerbung des im Prospekt vorgesehenen Eigenkapitals von € 176.905.000,00 beauftragt (vgl. Prospekt Seite 52 und 81). Hierzu schaltete sie Vermittler ein. Die Antragsgegnerin zu 2) fungierte nach Maßgabe des Treuhand- und Verwaltungsvertrages (Prospekt Seite 146 ff.) zugleich als Treuhandkommanditistin. Die Antragsgegnerin zu 3) nahm u.a. die Funktion der Vertragsreederin ein (vgl. Prospekt Seite 40) und war zugleich Gesellschafterin der Komplementärin der Fondsgesellschaft (Prospekt Seite 53).
Der Antragssteller trägt vor, der Emissionsprospekt sei fehlerhaft, weil er in erheblichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend sei und insbesondere die in den tenorierten Feststellungszielen aufgeführten Mängel aufweise. Er ist der Ansicht, die Antragsgegner hafteten ihm gegenüber nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne.
Der Antragssteller beantragt,
den hiesigen Feststellungsantrag nach § 3 Abs. 2 KapMuG im Klageregister zu veröffentlichen, das vorliegende Verfahren gemäß § 5 KapMuG zu unterbrechen und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 1 KapMuG den Musterfeststellungsantrag des Anlegers dem Oberlandesgericht Hamburg zur Entscheidung vorzulegen. |
Die Antragsgegner beantragen,
den Antrag auf Durchführung eines Musterverfahrens nach § 2 Abs. 1 KapMuG zurückzuweisen. |
Sie tragen vor, der Musterverfahrensantrag sei unzulässig. Die Feststellungsziele seien untauglich und enthielten keine Angabe geeigneter Beweismittel zum Beweis der geltend gemachten Feststellungsziele gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG. Der Antrag sei im Übrigen allein zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt worden. Wegen der ihrerseits erhobenen Einrede der Verjährung fehle es an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit einzelner Feststellungsanträge.
II.
1.
Das Landgericht Hamburg für die Entscheidung über den Vorlagebeschluss zuständig, weil die Zuständigkeit eines anderen Gerichts gemäß § 6 Abs. 2 KapMuG nicht gegeben ist. Ausweislich des Klageregisters nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sind bis zum Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses keine gleichgerichteten Musterverfahrensanträge bekannt gemacht worden.
2.
Der Musterverfahrensantrag ist in seinen Feststellungszielen statthaft, denn die geltend gemachten Anträge fallen in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG. Es werden vorliegend insbesondere Schadensersatzansprüche wegen Verwendung falscher oder irreführender öffentlicher Kapitalmarktinformationen geltend gemacht, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG musterverfahrensfähig sind.
Bei den Angaben aus dem Emissionsprospekt „Santa-B Schiffe“ mbH & Co. KG handelt es sich um eine öffentliche Kapitalmarkinformation i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 2 Abs. 2 KapMuG. Soweit die Antragsgegner rügen, der Antragssteller habe nicht dargelegt, warum es sich aus seiner Sicht bei dem von ihm als Kapitalmarktinformationen angesehenen Informationen um „öffentliche Kapitalmarktinformationen i.S.d. § 2 KapMuG“ handeln soll, folgt die Kammer dem nicht.
Öffentliche Kapitalmarktinformationen beinhalten Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter sonstiger Vermögensanlagen betreffen und für einen Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind (Kruis in: Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl., § 1, Rn. 22). Grundsätzlich muss sich dem Antrag zumindest entnehmen lassen, welche Information der Antragssteller als Kapitalmarktinformation ansieht und warum es sich dabei um eine öffentliche Kapitalmarktinformation handeln soll (Kruis in: a.a.O., § 2, Rn. 81).
Dass es sich bei den Angaben im Emissionsprospekt „Santa-B Schiffe“ mbH & Co. KG um Angaben im obigen Sinne handelt, hat die Kammer keine Zweifel. Welche Informationen der Antragssteller als öffentliche Kapitalmarktinformationen ansieht, lässt sich seinem Musterverfahrensantrag entnehmen und bedurfte daher keiner näheren Ausführung.
3.
Die Kammer hat gemäß § 3 Abs. 4 KapMuG von der gemäß § 3 Abs. 2 KapMuG grundsätzlich vorgesehenen öffentlichen Bekanntmachung der Musterverfahrensanträge im Klageregister nach § Abs. 4 KapMuG abgesehen, weil die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Hanseatische Oberlandesgericht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KapMuG bereits vorliegen.
Es liegen bei der Kammer mindestens 12 anhängige Verfahren mit gleichgerichteten Musterverfahrensanträgen mit folgenden Aktenzeichen vor:
318 O 339/15 (zuerst anhängiger Musterfeststellungsantrag)
318 O 257/15
318 O 2/15
318 O 132/15
318 O 248/15
318 O 338/15
318 O 352/15
318 O 382/15
318 O 375/15
318 O 314/15
318 O 343/15
318 O 351/14
318 O 363/15
318 O 391/15
4.
Die Musterverfahrensanträge sind mit ihren geltend gemachten Feststellungszielen zulässig, denn die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits hängt von den Feststellungszielen ab (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG).
a.) Die Feststellungsziele zu Ziffer 1 des Tenors sind nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden.
aa.) Die „Verantwortlichkeit“ im Sinne dieses Feststellungsziels ist im Wege der Auslegung so zu verstehen, dass damit nicht allein die Prospektverantwortlichkeit im engeren Sinne, sondern eben gerade auch die Passivlegitimation im Hinblick auf die geltend gemachten Prospekthaftungsansprüche im weiteren Sinne gemeint sein soll. Dies ergibt sich schon aus dem jeweiligen Klagebegehren der Antragsteller.
bb.) Ob die Antragsgegnerinnen bei der Veröffentlichung des Prospekts nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne schuldhaft gehandelt haben, betrifft die Frage, ob die behaupteten Prospektfehler von ihnen zu vertreten sind. Die Frage des Verschuldens wird in allen Fällen gleich zu beurteilen sein und stellt daher ein musterfeststellungsfähiges Feststellungsziel dar. Soweit die Antragsgegnerinnen den für dieses Feststellungsziel angeführten Fondsprospekt als ungeeignetes Beweismittel i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG rügen, folgt die Kammer dem nicht.
cc.) Das Feststellungsziel der Haftung der Antragsgegnerinnen wegen ihrer Verletzung ihrer Aufklärungspflicht ist nach Ansicht der Kammer nicht zu beanstanden. Es betrifft ebenfalls die Frage, ob sie für Prospekthaftungsansprüche im weiteren Sinne haftbar gemacht werden können, was zulässig ist (s.o.).
b.) Soweit die Antragsgegnerinnen weiter die Ungeeignetheit der angegebenen Beweismittel zum Beweis der geltend gemachten Feststellungsziele gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG rügen, folgt die Kammer dem nicht.
Eine Zurückweisung der Musterfeststellungsanträge wegen ungeeigneter Beweismittel kommt nur in Betracht, wenn das Gericht hiervon überzeugt ist und deshalb die Durchführung eines Musterverfahrens als sinnlos erscheinen muss. Die Annahme einer Ungeeignetheit wird nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen (Kruis in: a.a.O., § 3 Rn. 68). Eine Ablehnung kommt nur dann in Betracht, wenn kein einziges geeignetes Beweismittel im Musterverfahrensantrag bezeichnet worden ist. Andernfalls ist der Antrag uneingeschränkt zuzulassen (Kruis in: a.a.O., § 3 Rn. 70).
Der Antragssteller hat sowohl den Emissionsprospekt als auch Sachverständigenbeweis zum Beweis der geltend gemachten Feststellungsziele angeboten, was nach Ansicht der Kammer die Durchführung eines Musterverfahrens nicht von vornherein als sinnlos erscheinen lässt und der Einwand der Antragsgegnerinnen daher nicht durchgreift.
c.) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerinnen sind die Anträge nicht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 KapMuG wegen Prozessverschleppung unzulässig. Eine Verschleppungsabsicht i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 KapMuG setzt ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen voraus, welches eine Verfahrensverzögerung zum Ziel hat. Ein solches Vorgehen vermag die Kammer vorliegend nicht zu erkennen. Allein aufgrund der Tatsache, dass der Rechtsstreit durch das Musterverfahren objektiv verzögert wird, genügt nach Ansicht der Kammer nicht, weil andernfalls durch die Beantragung eines Musterverfahren eine Prozessverschleppung zu bejahen wäre. Dem Gesetzgeber kam es allerdings nicht auf die Beschleunigung jedes einzelnen Verfahrens an, sondern auf die Beschleunigung der Gesamtheit aller Verfahren (vgl. Kruis in: a.a.O., § 3, Rn. 78). Eine Prozessverschleppungsabsicht der Antragssteller ist auch nicht deshalb zu erkennen, weil die erkennende Kammer bereits über eine Vielzahl von Verfahren entschieden hat, in denen der streitgegenständliche Emissionsprospekt inhaltlich auf Prospektfehler zu überprüfen war. Dass dem Antragssteller daher die Möglichkeit eines Kapitalmusterverfahrens genommen wäre, sieht das Gesetz nicht vor.
d.) Die Antragsgegnerinnen können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, einzelne Feststellungsziele, wie die fehlerhafte Darstellung der mit dem Beteiligungsangebot „Santa-B Schiffe“ verbundenen Risiken der Fremdfinanzierung und der angeblich unvertretbaren Prognosen der Schiffsbetriebskosten gemäß Prospekt, seien gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG unzulässig, weil der Antragssteller spätestens mit Erhalt des Geschäfts- und Treuhandberichts 2007 im Jahr 2008 darüber informiert worden sei, dass es im Jahr 2007 zu einem unerwartet starken Anstieg der Schiffsbetriebskosten gekommen sei als auch im Jahr 2010 nochmals „dezidiert“ über die Problematik der sog. 105 % Klausel informiert worden sei. Die Kammer folgt insoweit nicht der Auffassung der Antragsgegnerinnen, dass hierdurch die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhänge, weil sämtliche Schadensersatzansprüche aufgrund dieser übermittelten Information verjährt sind.
Rechtsbehelfsbelehrung
Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, § 6 Abs. 1 S. 2 KapMuG.
Gravesande-Lewis Vorsitzende Richterin am Landgericht |
Rüther Richter am Landgericht |
Wöhler Richterin am Landgericht |
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