Landgericht Hamburg
Az.: 319 O 290/18
Beschluss
.< Gemäß § 3 Abs. 2 KapMuG wird auf Antrag der Klägerseite folgender Musterverfahrensantrag öffentlich bekannt gemacht:
I. Beklagte:
1) Bremer Bereederungsgesellschaft mbH & Co. KG, vertreten durch den Geschäftsführer Joachim Zeppenfeld, Martinistraße 61, 28195 Bremen
2) Conti Reederei Management GmbH & Co. Konzeptions KG, vertreten durch die Gesellschafterin Conti Reederei Management GmbH, diese vertreten durch den Geschäftsführer Josef Obermeier, Bleichenbrücke 10, 20354 Hamburg
II. Von dem Musterverfahrensantrag betroffener Emittent von Wertpapieren oder Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen:
Conti 154. Schifffahrts-GmbH & Co. Bulker KG MS „Conti Selenit“
III. Prozessgericht:
Landgericht Hamburg
IV. Aktenzeichen:
319 O 290/18
V. Feststellungsziele des Musterverfahrensantrags:
1. Der am 19.11.2009 von der Beklagten zu 2) für die Beteiligung an der CONTI 154. Schifffahrts-GmbH & Co. Bulker KG MS „CONTI SELENIT“ veröffentlichte Prospekt ist in folgenden Punkten unrichtig, unvollständig und fehlerhaft:
(1) |
Die Markterwartungen für Bulker sind fehlerhaft dargestellt, da (a) der Emissionsprospekt keinen Hinweis auf die beginnende Überkapazität auf dem Bulker-Markt enthält, |
(2) |
Die Risiken der Beteiligung sind falsch dargestellt, da (a) der Prospekt nicht auf den drohenden Preisverfall der Charterraten durch die beginnenden Überkapazitäten auf dem Bulker-Markt hinweist, |
2. Die Beklagten zu 1) und zu 2) waren nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB bezüglich der in Ziffer 1 genannten Kapitalanlage verpflichtet, über die unter Ziffer (1 a) bis (2 b) genannten Prospektmängel aufzuklären.
3. Es wird festgestellt, dass die unter Ziffer (1 a) bis (2 b) aufgeführten Prospektmängel für die Beklagten zu 1) und zu 2) bei der gebotenen sachkundigen Prüfung mit üblicher Sorgfalt erkennbar waren und diese schuldhaft nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne gehandelt haben.
VI. Lebenssachverhalt:
Die Klagepartei nimmt die Beklagten wegen vorvertraglichen Aufklärungsverschuldens im Zusammenhang mit einer Beteiligung an der „MS Conti Selenit“ in Anspruch. Sie stützt ihre Ansprüche auf die Prospekthaftung gemäß §§ 280 Abs. 1 i.V.m. 311 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Die Beklagte zu 2) ist eine Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft. Die Beklagte zu 1) ist im Dezember 2008 als Kommanditistin in die Fondsgesellschaft eingetreten.
Die Klagepartei zeichnete alleine aufgrund des Prospekts, der von November 2009 stammt, im Februar 2010 eine Beteiligung an der oben genannten Gesellschaft zum Nominalwert von 25.000,00 € zuzüglich eines Agio in Höhe von 1.250,00 €.
Zur Aufklärung über die Kapitalanlage bedienten sich die Beklagten des in der Wiedergabe der Feststellungsziele benannten Emissionsprospekts. Die Beklagten bestreiten Prospektfehler und erheben die Einrede der Verjährung.
VII. Eingang des Musterverfahrensantrags bei dem Prozessgericht:
27.12.2018>
Gründe:
Die Klagepartei nimmt die Beklagten mit der am 27.12.2018 eingegangenen Klage auf Schadensersatz wegen der ihrer Auffassung nach fehlerhaften Beteiligung an der Conti 154. Schifffahrts-GmbH & Co. KG MS „Conti Selenit“ in Anspruch. Mit Schriftsatz vom 17.12.2018 (eingegangen am 27.12.2018) hat sie einen Musterverfahrensantrag gestellt.
Es liegt ein gemäß §§ 1, 2 und 3 KapMuG zulässiger Musterfeststellungantrag vor, der gem. § 3 Abs. 2 KapMuG im Klageregister zu veröffentlichen ist.
1. Zuständigkeit der Zivilkammer 19
Die Zivilkammer 19 ist für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags nach § 3 KapMuG als Prozessgericht nach § 2 Abs. 2 KapMuG zuständig.
2. Der Antrag ist statthaft.
Gemäß § 2 Abs. 1 KapMuG kann durch Musterverfahrensantrag im ersten Rechtszug die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen (Feststellungziele) begehrt werden.
a) Ein Verfahren im ersten Rechtszug liegt vor.
b) Die Klagepartei ist antragsbefugt. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 KapMuG kann der Antrag vom Kläger oder vom Beklagten gestellt werden. Hier wurde er zulässigerweise von der Klägerseite gestellt.
c) Es wird von der Klägerseite ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG) bzw. ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG), geltend gemacht.
Es ist unerheblich, aus welcher Anspruchsgrundlage der Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird (z.B. Vertrag oder Delikt). Anders als nach der früheren Rechtsprechung des BGH (vgl. Beschluss vom 30.11.2010 – XI ZB 23/10) sind Ansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne (insbesondere Ansprüche aus Anlageberatung und -vermittlung) nicht mehr per se ausgeschlossen. Durch die Neufassung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Anwendbarkeit des KapMuG auch für Fälle eröffnet werden, in denen der Anspruch nur einen mittelbaren Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation aufweist.
Ein nach der Neufassung des Gesetzes unproblematischer Anwendungsfall i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG liegt vor, wenn im Rahmen von Beitrittsverhandlungen zu einer Anlagegesellschaft vom Gründungsgesellschafter, Komplementär, Treuhandkommanditisten oder einem anderen Beteiligten besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen wird und deswegen Prospekthaftungsansprüche im weiteren Sinne geltend gemacht werden (vgl. Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. 2014, § 1 Rn. 84, 91). Deshalb genügt es für die Zulässigkeit des Musterfeststellungsantrags der Klägerseite, dass derartige Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne geltend gemacht werden. Die Klagepartei macht den Schadensersatzanspruch zudem gerade in ihrer Eigenschaft als Kapitalanleger geltend (vgl. LG Hamburg Beschluss vom 20.04.2016, 325 O 174/15 und 302 O 79/15).
Öffentliche Kapitalmarktinformationen sind gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 KapMuG sind dies insbesondere Prospekte nach dem Wertpapierprospektgesetz (Nr. 1) und Verkaufsprospekte, Vermögensanlagen-Informationsblätter und wesentliche Anlegerinformationen nach dem Verkaufsprospektgesetz, dem Vermögensanlagegesetz, dem Investmentgesetz sowie dem Kapitalanlagegesetzbuch (Nr. 2).
Der vorgelegte Emissionsprospekt stellt eine öffentliche Kapitalmarktinformation im vorgenannten Sinne dar und unterfällt daher dem Anwendungsbereich des KapMuG.
d) Es handelt sich bei den Feststellungszielen um die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen im Sinne des § 2 Abs. 1 KapMuG.
3. Hinsichtlich der Feststellungsziele liegen die Anforderungen des § 2 Abs. 3 KapMuG an den Musterfeststellungsantrag vor.
Gemäß § 2 Abs. 3 KapMuG muss der Musterfeststellungsantrag die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Der Antragsteller hat darzulegen, dass der Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren (Musterentscheid) Bedeutung über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten zukommen kann.
Hinsichtlich der Feststellungsziele enthält der Antrag Angaben zu den maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen, außerdem werden die Beweismittel bezeichnet, derer sich die Antragstellerseite zum Nachweis ihrer Behauptungen bedienen will. Sie hat ferner dargelegt, weshalb die Entscheidung ihrer Auffassung nach für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten Bedeutung zukommen könne.
4. Hinsichtlich der sich aus dem Tenor des vorliegenden Beschlusses ergebenden Feststellungsziele ist der Anspruch schließlich auch nicht gemäß § 3 Abs. 1 KapMuG ausgeschlossen.
Gemäß § 3 Abs. 1 KapMuG ist ein Musterfeststellungsantrag unzulässig, wenn 1. die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits nicht von den geltend gemachtenFeststellungszielen abhängt, 2. die angegebenen Beweismittel zum Beweis der geltend gemachten Feststellungsziele ungeeignet sind, 3. nicht dargelegt ist, dass eine Bedeutung für andere Rechtsstreitigkeiten gegeben ist oder 4. der Musterfeststellungsantrag zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt ist.
a) Die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG erforderliche Entscheidungsrelevanz ist gegeben. Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt von der Feststellung der in den (im Tenor des Beschlusses genannten) Feststellungszielen genannten Anspruchsvoraussetzungen und der Klärung der dort aufgeworfenen Rechtsfragen ab.
Die Vorgreiflichkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG fehlt im vorliegenden Fall nicht. Da die Zeichnung auf Basis des Prospekts erfolgte, fehlt es nicht an der Kausalität möglicher Prospektfehler für die Anlageentscheidung der Klägerseite. Ihre Ansprüche sind auch nicht gemäß § 199 Abs. 4 BGB verjährt, denn die Zeichnung erfolgte im Jahren 2010.
Auch im Übrigen ist jedenfalls ohne eine Beweisaufnahme oder Anhörung der Klagepartei keine Verjährung anzunehmen.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat. Ihn trifft generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können (BGH, Urteil vom 08.07.2010, III ZR 249/09, zitiert nach juris).
Allein aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 26.01.2011 gemäß Anlage B 3 lässt sich nach Auffassung der Kammer eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klagepartei hinsichtlich aller behaupteten Prospektfehler nicht annehmen.
Die Feststellungsziele zu 2. und 3. sind ebenfalls zulässig. Die Ansprüche sind – wie bereits oben ausgeführt – nicht verjährt, mit der Folge, dass die Feststellungsziele insofern zulässig ist. Die Klägerseite begehrt die Feststellung von Pflichtverletzungen und weiterer Rechtsfragen. Hinsichtlich dieser Feststellungsziele ist wegen der abstrakten Formulierung auch eine Bedeutung für weitere Rechtsstreitigkeiten zu bejahen.
b) Es liegen ferner geeignete Beweismittel vor (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG). Die Klägervertreter haben hinreichend dargelegt, dass eine Bedeutung der begehrten Feststellungen für andere Rechtsstreitigkeiten gegeben ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG). Am Landgericht Hamburg sind Parallelverfahren anhängig. Vorliegend ist eine absichtliche Prozessverschleppung seitens derKlägerseite (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 KapMuG) nicht ersichtlich. Durch den Musterverfahrensantrag wird das vorliegende Verfahren nicht unzumutbar in die Länge gezogen.
Schwabe
Richterin am Landgericht
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