Startseite Allgemeines Justiz Nach Auffassung von Generalanwalt Pikamäe stellt ein von Pilotengewerkschaften organisierter Streik grundsätzlich einen außergewöhnlichen Umstand dar, aufgrund dessen die Fluggesellschaft von ihrer Verpflichtung befreit sein kann, Ausgleichszahlungen wegen Annullierung oder großer Verspätung für die betreffenden Flüge zu leisten
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Nach Auffassung von Generalanwalt Pikamäe stellt ein von Pilotengewerkschaften organisierter Streik grundsätzlich einen außergewöhnlichen Umstand dar, aufgrund dessen die Fluggesellschaft von ihrer Verpflichtung befreit sein kann, Ausgleichszahlungen wegen Annullierung oder großer Verspätung für die betreffenden Flüge zu leisten

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Für die Befreiung hat die Fluggesellschaft jedoch nachzuweisen, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese Annullierung oder Verspätung zu vermeiden.

www.curia.europa.euPresse und InformationGerichtshof der Europäischen UnionPRESSEMITTEILUNG Nr.39/21Luxemburg, den 16.März2021Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-28/20AirhelpLtd/Scandinavian Airlines System SASNach Auffassung von Generalanwalt Pikamäe stellt einvon Pilotengewerkschaften organisierter Streik grundsätzlich einen außergewöhnlichen Umstanddar, aufgrund dessendie Fluggesellschaft von ihrer Verpflichtung befreit seinkann, Ausgleichszahlungen wegen Annullierung oder großer Verspätung für die betreffenden Flüge zu leistenFür die Befreiung hat die Fluggesellschaft jedoch nachzuweisen, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um dieseAnnullierung oder Verspätung zu vermeidenAirhelp, ein Unternehmen, an dasein Fluggast der Fluggesellschaft SAS seinen etwaigen Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung1abgetreten hat, begehrtvon dieser Gesellschaft einen Ausgleich in Höhe von 250 Euro, weil der am 29.April2019 geplante Flug, den der Fluggast von Malmö nachStockholm nehmen sollte, am selben Tag wegen eines Streiks von SAS-Piloten in Norwegen, Schweden und Dänemark annulliert wurde.SAS vertritt die Ansicht, sie sei nicht verpflichtet, die geforderte Ausgleichszahlung zu leisten, da der Streik einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstelle, der sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.Der Streik der Piloten wurde durch derenGewerkschaften organisiert, nachdem diese den bisherigen Tarifvertrag mit SAS, der 2020 hätte auslaufen sollen, vorzeitig gekündigt hatten. Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag liefen seit März 2019.

Der Streik dauerte sieben Tage –vom 26.April2019 bis zum 2.Mai2019 –und veranlasste SAS, mehr als 4000Flüge zu annullieren, wovon ca.380 000Fluggästebetroffen waren.

Es handele sich –so SAS –um einen der größten Streiks der Luftverkehrsbranche, der jeverzeichnet worden sei. Wenn jeder der Fluggäste Anspruch auf die pauschale Ausgleichszahlung gehabt hätte, hätte dies nach den Berechnungen von SAS Kosten in Höhe von ca.117.000.000 Euro zur Folge.

Das von Airhelp angerufene Attunda tingsrätt (Gericht erster Instanz Attunda, Schweden) hat den Gerichtshof um Auslegung der Fluggastrechteverordnung gebeten.In seinen heutigen Schlussanträgen vertritt Generalanwalt Priit Pikamäeerstens die Auffassung, dass ein Streik, der auf den Aufruf einer Gewerkschaftim Rahmen der Ausübung des Streikrechts durch die Belegschaft der Fluggesellschaftorganisiert werde, um eine Verbesserungder Arbeitsbedingungen einzufordern, einenbefreienden „außergewöhnlichen Umstand“2darstelle, sofern er nicht durch eine vorherige Entscheidung des Unternehmens, sondern durch die Forderungen der Arbeitnehmer ausgelöst werde.

www.curia.europa.euEin solcher Streikerfülle –so der Generalanwalt –die beiden vom Gerichtshof für diese Einstufung festgelegten Kriterien, da er nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Fluggesellschaft sei und vonihrtatsächlich nicht zu beherrschen sei.
Die Entscheidung, einen Streik auszurufen, werdenämlich von den Gewerkschaftsvertretern der Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Tarifautonomie getroffen und liegesomit außerhalb der Entscheidungsstrukturen derbetroffenen Fluggesellschaft. Obwohl Streiks zum wirtschaftlichen Leben eines jedenUnternehmens gehörten, habedieses keineKontrolle überdie Entscheidungen einer Gewerkschaft.
Daraus folge, dass die Fluggesellschaft in der Regel keinen rechtlich bedeutsamen Einfluss darauf habe, ob ein Streik stattfinde, selbst wenn es sich um ihre eigene Belegschaft handele.
Der Generalanwalt stellt fest, dass die Interessen der Sozialpartner durch die Unionsrechtsordnung grundsätzlich in gleicher Weise geschützt seien.
Als Arbeitgeber habe die Fluggesellschaftdas Recht und die Verantwortung, im Rahmen der Tarifautonomie der Sozialpartner eine Vereinbarung mit den Arbeitnehmern auszuhandeln.
Dagegen könnesiefür die Folgen kollektiver Maßnahmen der Belegschaft nicht allein verantwortlich gemacht werden.Andernfalls bestünde die Gefahr, dass derAusgleichsanspruch von Fluggästen für Arbeitskämpfe „instrumentalisiert“werde.Zweitens weist der Generalanwalt darauf hin, dass eine Fluggesellschaftaufgrund eines„außergewöhnlichen Umstands“ von ihrer Ausgleichspflicht nurdann befreit sei, wenn sienachweisen könne, dass siealle zumutbarenMaßnahmen ergriffen habe, um dieAnnullierung oder große Verspätung einesFlugs zu verhindern.
Angesichts der Kapazitäten ihresUnternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt könnten von ihrjedoch keine nichttragbaren Opfer verlangt werden.
Daher hat die Fluggesellschaftnach Auffassung des Generalanwalts alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um ihre Interessen und mittelbar die der Fluggäste zu wahren, auch bei den zuständigen Gerichten zu beantragen, die Rechtswidrigkeit der kollektiven Maßnahmen festzustellen und gegebenenfalls deren Beendigung anzuordnen.
Darüber hinaus müsse sie eine ausreichende Zeitreserve vorsehen, um etwaige unvorhergesehene Umstände aufzufangen, der Vorankündigung des von der Gewerkschaft ausgerufenen Streiks Rechnung tragen, ihremateriellen und personellen Ressourcen organisieren, um eine Kontinuität des Betriebs zu gewährleisten, und den Zugang zu Flügen anderer Fluggesellschaften erleichtern.

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