Nach dem verheerenden Erdbeben, das am Mittwoch Istanbul erschütterte, bleibt die Lage in der Millionenmetropole angespannt. Wie die Erdbebenwarte Kandilli gestern mitteilte, wurden bislang 445 Nachbeben registriert – und die seismische Aktivität ist noch längst nicht vorbei. Auch in den kommenden Tagen sei mit weiteren Erschütterungen zu rechnen.
Das Hauptbeben hatte am Mittwochmittag mit einer Stärke von 6,2 die 16-Millionen-Stadt und weite Teile der Umgebung erschüttert. Zentrum der Aktivität ist das Marmarameer, direkt vor den Toren Istanbuls, wo eine aktive Plattengrenze verläuft. Die gewaltigen Spannungen entlang dieser Zone gelten seit Langem als tickende Zeitbombe.
Der türkische Städtebauminister Murat Kurum gab gestern bekannt, dass bisher mehr als 6.500 beschädigte Gebäude gemeldet wurden. Viele Bauten weisen schwere strukturelle Schäden auf, was die Angst der Bevölkerung weiter schürt.
Am Freitagabend kam es erneut zu einem kräftigen Nachbeben, das viele Menschen in besonders gefährdeten Vierteln aus ihren Wohnungen trieb. Aus Furcht vor weiteren, möglicherweise noch stärkeren Beben campieren zahlreiche Einwohner seither auf Grünflächen, in Parks und auf freien Plätzen. Medien berichten von improvisierten Zeltdörfern und überfüllten öffentlichen Anlagen, in denen Familien Schutz suchen.
Seismologen warnen seit Jahren vor einem noch weitaus zerstörerischeren Erdbeben in Istanbul: Ein Beben mit einer Magnitude von über sieben gilt als wahrscheinlich. Fachleute sehen die Wahrscheinlichkeit dafür nach den aktuellen Ereignissen als weiter gestiegen. Dass die Stadt auf ein solches Szenario unzureichend vorbereitet ist, ist ein offenes Geheimnis. Experten schätzen, dass ein schweres Beben Zehntausende, im schlimmsten Fall Hunderttausende Todesopfer fordern könnte.
Trotz zahlreicher Warnungen und Mahnungen hat die Stadt Istanbul nach wie vor mit massiven Defiziten in der Katastrophenvorsorge zu kämpfen – ein Umstand, der nun erneut in aller Deutlichkeit ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist.
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