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Netflix, Amazon und Co und die veränderte Psychologie des Kinos

geralt (CC0), Pixabay
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Ältere Kinobesucher erinnern sich sicher daran wie aufregend früher „Kinogehen“ sein konnte. Es war in den meisten Fällen kein Einzel- sondern ein Partner- oder Gruppenevent. Man verabredete sich und genoss gemeinsam den Abend. Der Film war noch Tage oder Wochen danach Gesprächsstoff. Kinder freuten sich in der Regel, wenn der neue Weihnachtsfilm herauskam. Die Zeit der Herstellung für einen Animationsfilm betrug in der Regel 2-3 Jahre, da sie handgezeichnet wurden und jedes Bild einzeln abfotografiert werden musste. Das war früher.

In den 80er Jahren begann ein erstes Kinosterben. Videorekorder machten es möglich, die Filme zu Hause anzusehen. Es entstanden Video-Nights bei denen man sich unter Umständen drei oder vier Filme nacheinander, gemeinsam mit Freunden, anschaute. Das Kino versuchte zuerst die ursprünglichen Filmsäle durch kleine, aber mehrere Filmräumen auszutauschen. Dies gelang eine kurze Zeit lang. Der Erfolg war mäßig.

In den darauf folgenden Jahren wurden immer wieder neue Kino- und Soundtechniken entwickelt, um das Kinogehen attraktiv zu halten. Zuletzt domminierten 3D und 4D Varianten das Mainstreamkino mit entsprechenden, hochauflösenden Laserproduktionen.

Dann kam Corona und veränderte alles.

Netflix, Amazon und Co sind in den letzten Jahren zu Filmgiganten aufgestiegen.  Nicht zuletzt durch die Covid-Krise konnten Streaming-Unternehmen ihre Gewinne in unglaubliche Höhen schrauben.

In der Statista kann man nachlesen, dass Netflix hat im dritten Quartal 2021 seinen Umsatz erneut gesteigert hat. Netflix konnte einen Wert von 7,48 Milliarden US-Dollar ausweisen. Damit erhöhte sich der Umsatz um rund eine Milliarde US-Dollar im Vergleich zum Vorjahr. Der Gewinn im dritten Quartal 2021 betrug 1,45 Milliarden US-Dollar. Netflix hat mittlerweile rund 200 Millionen zahlende Kunden.

Netflix-Abonnenten haben sich den neuen, kleinen Button (Netflix Party) entdeckt, welcher die Kunden einlädt die Filme gleich mit mehreren Freunden oder Gästen gemeinsam, aber disloziert, anzusehen.

Der Kassen-Einbruch an den Kinokassen wird nachhaltiger sein als man heute denkt. Der Umbruch der Sehgewohnheiten hat schon eine Generation vorher begonnen und Corona hat das Unvermeidliche, die soziale Umstellung des Kinos, nur etwas beschleunigt. Netflix und Co bieten zudem alle Kinofilme nach extrem kurzer Zeit schon online an. Manche Premieren werden in Zukunft nur mehr Onlinestattfinden. Der frühere drei Monate Schutz zwischen Filmpremieren in Kinos und Online-Plattformen wird aufgehoben.

Warum soll man ins Kino gehen, wenn der Partner grad in London ist und ich gemeinsam, virtuell, mit ihm zu Hause den Film sehen kann? Warum soll ich 2G, 3G und ähnliche Mühen auf mich nehmen, wenn man den Film doch zu Hause beliebig oft sehen kann? Warum soll ich auf Filmfestivals fahren, wenn man doch alles online sehen kann? Warum soll einer viermal 14 Euro Eintritt berappen, wenn man den um 8€ online für alle bekommt?

Warum sollen Filme länger von unbekannten oder bekannten Filmschaffenden bewertet werden, wenn doch ein kompetentes Millionenpublikum besteht, dass diese Bewertungen unabhängiger und objektiver durchführen kann als ein so erlauchter Kreis?

An dieser Entwicklung werden auch Live-Opernübertragungen im Kino kaum was ändern. Zudem, es ist ja auch viel günstiger.

Auch etablierten Programmkinos wird das mühsam sozialisierte Publikum in Zukunft immer mehr wegbrechen. Die Möglichkeiten für das Publikum sind zu groß geworden.

Netflix, Amazon und Co stülpen der Gesellschaft eine übergeordnete Struktur über, welche in Zukunft das Verhalten der Nutzer nachhaltig beeinflussen wird. Kinobetreiber und Produzenten wie auch Filmfestivals werden sich dem nicht entziehen können. Teure Kino- oder Festivalstrukturen werden immer obsoleter. Vorbei die Zeiten in denen Programmkinobetreiber in Wohnwagen etwa am Lido in Venedig zubringen mussten, um am Festival, einigermaßen kostengünstig, teilnehmen zu können.

Es spricht etwa nichts dagegen das Kino oder Festivals auch digital, während einer Vorstellung, zu öffnen.

Der Mensch bevorzugt Nähe bei dem Sinneserlebnis Kino. Der Begriff der Nähe hat sich aber gewandelt. Dies gilt es zu berücksichtigen.

Bisherige Entwicklungen am Mediensektor werden zu wenig beachtet. Es ist vergleichbar mit den Problemen in der Musikindustrie. Den Kampf gegen, legale oder illegale, Stream Giganten musste aufgegeben werden.

Will das Kino weiterhin Menschen faszinieren werden die Kino-Strukturen digitaler, publikumsnäher und direkter mit den Sehern verbunden werden müssen. Im gegenteiligen Fall wird das altbekannte Kino, samt Festivals, wohl der nostalgischen Geschichte und langen Bärten angehören.

Salvatore Giacomuzzi

 

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