Nach den maßgeblichen unionsrechtlichen Regelungen können sogenannte nichtselbsttätige Waagen, mit denen in vielen Supermärkten das Wiegen von Obst und Gemüse an der Kasse ermöglicht wird, auch ohne eigenes Display mit der CE-Kennzeichnung versehen und als vollständige Waagen in Verkehr gebracht werden. Zudem kann es genügen, die messtechnischen Werte zur Höchstlast, Mindestlast und zum Eichwert ausschließlich im Display anzuzeigen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht mit am 9.9.2022 verkündeten Urteilen bezogen auf zwei marktaufsichtsrechtliche Ordnungsverfügungen des Landesbetriebs Mess- und Eichwesen entschieden.
Die Klägerinnen sind jeweils Hersteller sogenannter nichtselbsttätiger Waagen, die für den Verkauf in öffentlichen Verkaufsstellen verwendet werden sollen. Zwischen den Beteiligten war zum einen streitig, ob ein Gerät zur Gewichtsbestimmung, welches für den Einsatz im Einzelhandel in Kassensysteme anderer Hersteller integriert wird und so das Wiegen beim Kassiervorgang ermöglicht, bereits mit der CE-Kennzeichnung versehen werden darf, wenn es am Ende der Fertigung noch nicht über ein eigenes Display verfügt. Nach Ansicht der Marktaufsichtsbehörde entstehe erst mit Anschluss des Geräts an das Kassen-Display eine nichtselbsttätige Waage, weil diese zwingend eine Anzeigeeinrichtung erfordere. Die Anbringung der CE-Kennzeichnung, mit der zum Ausdruck gebracht werde, dass das fertige Produkt die wesentlichen Anforderungen an eine nichtselbsttätige Waage erfülle und das Konformitätsbewertungsverfahren erfolgreich bestanden habe, dürfe daher erst nach Anschluss an das Kassensystem erfolgen. Zum anderen war zwischen den Beteiligten streitig, ob – so der Landesbetrieb – die nach den rechtlichen Vorschriften zum Mess- und Eichwesen erforderlichen Angaben zur Höchstlast (Max), Mindestlast (Min) und zum Eichwert (e) zwingend analog auf dem Messgerät angebracht werden müssen oder ob eine ausschließlich digitale Anzeige der Angaben genügen kann.
Beide Verfahren sind als Musterverfahren geführt worden, um Rechtsfragen zu klären, die unter den Mess- und Eichbehörden und den Konformitätsbewertungsstellen nicht einheitlich beurteilt worden sind. In beiden Verfahren hat der Landesbetrieb Vorgehensweisen von Waagenherstellern beanstandet, die zuvor jeweils von den Konformitätsbewertungsstellen als ordnungsgemäß bescheinigt worden waren.
Das Oberverwaltungsgericht ist den Erwägungen des Landesbetriebs in beiden Verfahren nicht gefolgt. Zur Begründung seiner Entscheidungen hat der 4. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Eine nichtselbsttätige Waage kann den gerätespezifischen Anforderungen auch dann genügen, wenn beim Inverkehrbringen der Waage sichergestellt ist, dass Anforderungen, die erst bei der Verwendung im geschäftlichen Verkehr für die gesamte Nutzungsdauer relevant sind, ab der Inbetriebnahme erfüllt werden. Ein Hersteller, der ein Gerät als vollständige Waage vertreiben will, das alle Anforderungen an eine Waage erfüllt, aber über keine eigene digitale Hauptanzeigeeinrichtung verfügt, muss „bei Entwurf und Herstellung“ gewährleisten, dass sein Gerät nur mit einem geeigneten Display in Betrieb genommen werden kann und die Vereinbarkeit mit den wesentlichen gerätespezifischen Anforderungen an die Anzeige des Wägeergebnisses ab Inbetriebnahme und damit bei Verwendung des Geräts für Messungen im geschäftlichen Verkehr sichergestellt ist.
Weiter kann auch die ausschließlich digitale Anzeige zur Höchstlast, Mindestlast und zum Eichwert im Display für die Gewichtsanzeige die rechtlichen Anforderungen der guten Sichtbarkeit, Leserlichkeit und Dauerhaftigkeit erfüllen, weshalb ein Display eine geeignete Einrichtung zum Anbringen der messtechnischen Kennwerte darstellen kann. Damit eine digitale Anzeige dauerhaft bzw. unauslöschlich und damit für die Aufschrift bzw. Beschriftung „geeignet“ ist, hat der Hersteller bei Entwurf und Herstellung des Geräts zu gewährleisten, dass die für die Anzeige der messtechnischen Werte verantwortliche Software entsprechend den gerätespezifischen technischen Anforderungen an nichtselbsttätige Waagen vor unbeabsichtigtem Missbrauch geschützt und eine Veränderung der angezeigten messtechnischen Werte verhindert wird.
Dieses Normverständnis steht im Einklang mit internationalen technischen Standards und entspricht dem Bestreben des europäischen Richtliniengebers, sich auf die wesentlichen messtechnischen und technischen Anforderungen an nichtselbsttätige Waagen zu beschränken. Der deutsche Gesetzgeber hat die europäischen Vorgaben unverändert in nationales Recht übernommen.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung in beiden Verfahren die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
Aktenzeichen: 4 A 1278/21 (I. Instanz: VG Köln 1 K 2672/20)
4 A 1362/21 (I. Instanz: VG Köln 1 K 1112/20)
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