Die Herausforderungen, denen sich viele Amerikaner im Gesundheitssystem gegenübersehen, rücken nach dem tragischen Mord an UnitedHealthcare-CEO Brian Thompson erneut ins öffentliche Bewusstsein. Eine Mischung aus hohen Kosten, Versicherungsablehnungen und einem komplexen System belastet Patienten oft zusätzlich zu ihren ohnehin schon schwierigen gesundheitlichen Situationen.
Ein grausames System: Der Fall Arete Tsoukalas
Arete Tsoukalas, eine 26-jährige Studentin aus West Lafayette, Indiana, musste während ihrer Chemotherapie nicht nur gegen Leukämie, sondern auch gegen ihre Versicherung kämpfen. Die Medikamente, die sie dringend benötigte, wurden nur unter der Bedingung eines monatlichen Eigenanteils von 13.000 US-Dollar abgedeckt – eine Summe, die die kürzlich graduierte Studentin nicht bezahlen konnte. Drei Monate musste sie ohne die nötige Behandlung auskommen, bis sie schließlich Unterstützung durch ein Hilfsprogramm des Medikamentenherstellers erhielt.
„Niemand sollte gleichzeitig gegen Krebs und seine Versicherung kämpfen müssen“, sagte Tsoukalas, die sich nun in Remission befindet und ein Jurastudium begonnen hat. „Wir leben in einem Land, in dem Menschen in ihren schwächsten und verletzlichsten Momenten – sowohl körperlich als auch emotional – noch weiter heruntergedrückt werden.“
Tsoukalas‘ Geschichte ist kein Einzelfall. Laut einer Umfrage der gemeinnützigen KFF (Kaiser Family Foundation) hatten die meisten versicherten US-Amerikaner innerhalb eines Jahres mindestens ein Problem mit ihrer Krankenversicherung, darunter auch abgelehnte Ansprüche.
Zunehmende Wut auf das System
Nach dem Mord an Brian Thompson brach eine Welle der Frustration gegenüber dem Gesundheitssystem in den sozialen Medien aus. Patienten und Angehörige berichteten von abgelehnten Behandlungen, unerwarteten Rechnungen und bürokratischen Hürden – alles während sie bereits hohe Prämien und Eigenkosten zahlen mussten.
Ein Leser schrieb an CNN: „Man zahlt ein Vermögen, und trotzdem wird einem die lebensnotwendige Behandlung verweigert. Was bringt diese Versicherung überhaupt?“ Diese Wut ist nicht neu: Eine KFF-Umfrage aus dem Jahr 2022 ergab, dass 41 % der Erwachsenen Schulden durch medizinische oder zahnmedizinische Rechnungen haben. Insgesamt beläuft sich der geschätzte Schuldenstand durch medizinische Kosten auf mindestens 220 Milliarden US-Dollar.
Fälle von Ablehnungen: Zwischen Angst und Hoffnungslosigkeit
Für viele Patienten wie Isaac Rosenbloom, einen 43-jährigen Vater von vier Kindern aus Colorado, sind Ablehnungen durch Versicherungen keine Ausnahme, sondern bittere Realität. Bei ihm wurden Knoten auf der Lunge entdeckt, die möglicherweise Krebs sein könnten. Doch seine Versicherung verweigert die Kostenübernahme für ein dringend benötigtes MRT, um die Diagnose zu klären. „Muss ich erst Blut husten, bevor sie mich ernst nehmen?“ fragt Rosenbloom. „Oder bis es Stadium 3 ist und zu spät, um noch etwas zu tun?“
Anderen bleibt oft keine Wahl, als die empfohlene Behandlung auf eigene Faust durchzuführen – mit verheerenden finanziellen Folgen. So erging es Melanie Duquette, einer 70-jährigen ehemaligen Krankenschwester, die nach einer großen Rückenoperation in einer Reha-Einrichtung bleiben musste. Obwohl ihr Arzt und ihr medizinisches Team die Verlängerung ihres Aufenthalts für notwendig hielten, lehnte ihre Versicherung die Kostenübernahme ab. Duquette blieb auf den Kosten von weiteren Wochen in der Einrichtung sitzen – eine Rechnung über 14.000 US-Dollar, die sie nicht bezahlen kann. „Ich habe das beste Versicherungsangebot meines Arbeitgebers gewählt und hunderte Dollar im Monat dafür gezahlt, nur um jetzt am Rande des Bankrotts zu stehen“, sagte sie wütend.
Ein defektes Gesundheitssystem
Die Probleme mit dem US-Gesundheitssystem gehen weit über einzelne Fälle hinaus. Viele Versicherungen verweigern die Deckung für Behandlungen, selbst wenn Ärzte sie für notwendig halten. Oft bleibt den Patienten nur der langwierige Prozess der Berufung gegen diese Entscheidungen – ohne Garantie auf Erfolg.
Das System ist zudem mit bürokratischen Hürden durchsetzt, die nicht nur Patienten, sondern auch medizinisches Personal belasten. Mehrere Ärzte berichteten CNN, dass sie und ihre Mitarbeiter täglich Stunden damit verbringen, Behandlungen bei Versicherungen durchzusetzen, anstatt sich um ihre Patienten kümmern zu können.
Eine nationale Debatte
Der Mord an Brian Thompson hat nicht nur Tragik, sondern auch Wut und Diskussionen ausgelöst. Während die Polizei untersucht, ob der Verdächtige Luigi Mangione möglicherweise aus Frustration über das Gesundheitssystem gehandelt hat, bleibt die Frage, wie diese tiefgreifenden Probleme gelöst werden können.
„Das System ist grausam“, fasst Tsoukalas zusammen. „Menschen sollten sich auf ihre Genesung konzentrieren können, nicht darauf, gegen Versicherungen zu kämpfen.“
Die politischen Institutionen stehen nun unter Druck, sich diesen Problemen zu widmen. Doch wie bei anderen großen Herausforderungen, die das Land betreffen, bleibt fraglich, ob Lösungen in naher Zukunft umgesetzt werden können. Bis dahin bleibt für viele Amerikaner der Kampf gegen das Gesundheitssystem ein Teil ihrer Realität – oft zu einem Zeitpunkt, an dem sie ohnehin schon am verwundbarsten sind.
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