Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss
3 Kap 1/16
In dem Kapitalanleger-Musterverfahren
Deka Investment GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer
Thomas Schneider und den Prokuristen Michael Windischmann,
Mainzer Landstraße 16, 60325 Frankfurt am Main,
Musterklägerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Einhornstraße 21, 72138 Kirchentellinsfurt b. Tübingen,
gegen
1. |
Volkswagen AG, vertreten durch den Vorstand, |
Musterbeklagte zu 1),
Verfahrensbevollmächtigte:
a) |
Rechtsanwälte Göhmann & Kollegen, |
b) |
Schilling, Zutt & Anschütz Rechtsanwalts AG, |
2. |
Porsche Automobil Holding SE, vertreten durch den Vorstand, |
Musterbeklagte zu 2),
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Hengeler Mueller, Bockenheimer Landstraße 24, 60323 Frankfurt am Main,
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Jäde, den Richter am Oberlandesgericht Stephan und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Hoffmann am 2. Mai 2019 beschlossen:
Das Musterverfahren wird auf Antrag der Musterbeklagten zu 1) vom 28. Februar 2018 um folgende Feststellungsziele erweitert:
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Gründe:
I.
Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 KapMuG sind in Bezug auf die aufgeführten Feststellungsziele erfüllt.
1. Die Entscheidung eines Teils der zugrunde liegenden Rechtsstreite hängt von den weiteren Feststellungszielen ab (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KapMuG). |
Ein Erweiterungsantrag ist entscheidungserheblich in diesem Sinne, wenn sich die Entscheidung über das neue Feststellungsziel auf die Entscheidung des ausgesetzten Verfahrens auswirken kann (vgl. Vollkommer, in: KK-KapMuG, 2. Aufl., § 15 Rn. 14; Kruis, in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl., § 15 Rn. 12). Nur dann verfügt der Antragsteller über das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für einen Erweiterungsantrag (Kruis, a.a.O.). Dabei genügt es, wenn dies für das Oberlandesgericht zumindest plausibel ist (Vollkommer, a.a.O.).
Die rechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsvorschrift des § 32b ZPO – die Gegenstand eines Musterverfahrens sein können (vgl. OLG Stuttgart, Beschlüsse vom 27.03.2019 – 20 Kap 3/17 und 20 Kap 4/17 –, jeweils unter II. A.) – sind zwischen den Beteiligten des Verfahrens, in der Literatur und auch in der Instanzrechtsprechung hochstreitig. Diese Streitfragen können sich auf die ausgesetzten Ausgangsverfahren auswirken. Von der Bewertung dieser Fragen hängt es nämlich ab, ob die jeweiligen Ausgangsgerichte – ganz oder teilweise – selbst zur Entscheidung über die bei ihnen anhängigen Verfahren berufen sind oder ob diese schon mangels örtlicher Zuständigkeit durch Prozessurteil zu beenden bzw. im Falle eines Verweisungsantrags an das zuständige Gericht zu verweisen wären.
Auch der die Frage der Verjährung betreffende Erweiterungsantrag zu Ziffer 2c kann sich auf Teile der ausgesetzten Ausgangsverfahren auswirken. Jedenfalls soweit Ansprüche aufgrund behaupteter Kapitalmarktinformationspflichtverletzungen vor dem 09.07.2012 geltend gemacht werden, wäre in Bezug auf Ansprüche aus § 37b Abs. 1 WpHG a.F. die Einrede der Verjährung zu prüfen. Das dem Erweiterungsantrag zugrunde liegende Feststellungsziel betrifft die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Verjährungsfrist begonnen hat.
2. Die weiteren Feststellungsziele betreffen auch den gleichen Lebenssachverhalt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG). |
Die rechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 32b ZPO lassen sich nicht von dem zugrunde liegenden Kernsachverhalt trennen. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung des Feststellungszieles zu Ziffer 1a), in der die „Dieselthematik“ ausdrücklich genannt wird. Nach der Rechtsauffassung der Musterbeklagte zu 1) begründet § 32b ZPO in Konstellationen, in denen mehrere Emittenten mit unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsständen als Streitgenossen verklagt werden, einen ausschließlichen „Anker“-Gerichtsstand am Sitz des „primär betroffenen“ Emittenten. Dies erfordert eine Prüfung, welche Unternehmensdaten und sonstige Informationen welches Emittenten aufgrund der individuellen Besonderheiten des zugrunde liegenden Kernsachverhalts für die rechtliche und tatsächliche Würdigung maßgeblich sind. Die Bewertung der Feststellungsziele ist bereits deshalb untrennbar mit dem zugrunde liegenden Kernsachverhalt verbunden.
Auch der die Verjährung betreffende Erweiterungsantrag zu Ziffer 2c betrifft den gleichen Lebenssachverhalt. Der Gesetzgeber will mit § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG erreichen, dass das Musterverfahren nur um solche Feststellungsziele erweitert werden kann, die auch von Anfang an in einem Vorlagebeschluss hätten zusammengefasst werden können (vgl. Kruis, a.a.O., § 15 Rn. 14; Vollkommer, a.a.O., § 15 Rn. 13). Die Rechtsfrage zur etwaigen Verjährung geltend gemachter Ansprüche hätte ohne weiteres Bestandteil des Vorlagebeschlusses sein können.
3. Die Erweiterung ist auch sachdienlich (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KapMuG). Der Entscheidung über die weiteren Feststellungsziele kommt für eine Vielzahl anderer gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten Bedeutung zu. Eine Verzögerung des Musterverfahrens infolge der Zulassung der Erweiterungsanträge ist nicht zu befürchten. |
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4. Der Senat ist auch unabhängig von der Frage der Sachdienlichkeit durch den Vorlagebeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 06.12.2017 nicht daran gehindert, das Musterverfahren um die die örtliche Zuständigkeit betreffenden Feststellungsziele zu erweitern. Die Feststellungsziele betreffen – wie bereits ausgeführt – den gleichen Lebenssachverhalt wie die Feststellungsziele in dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 05.08.2016. Dieser könnte zwar grundsätzlich – was hier keiner Klärung bedarf – gemäß § 7 Satz 1 KapMuG Sperrwirkung für die zeitlich nachfolgenden Vorlagebeschlüsse des Landgerichts Stuttgart vom 28.02.2017 und 06.12.2017 entfalten. Letztere können aber keine Sperrwirkung für zulässige Erweiterungsanträge in dem Musterverfahren, das aufgrund des zeitlich vorangegangenen Vorlagebeschlusses des Landgerichts Braunschweig eingeleitet wurde, entfalten. Davon abgesehen, hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit (noch nicht rechtskräftigen) Beschlüssen vom 27.03.2019 – 20 Kap 3/17 und 20 Kap 4/17 – festgestellt, dass die mit dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 06.12.2017 (22 AR 2/17) vorgelegten beiden Musterverfahren (22 AR 2/17 Kap (a) und 22 AR 2/17 Kap (b)) unzulässig sind. |
II.
Von einer Entscheidung über die Erweiterung des Musterverfahrens um die weiteren im Schriftsatz der Musterbeklagten zu 1) vom 28.02.2018 aufgeführten Feststellungsziele sieht der Senat zurzeit noch ab. Über diese soll im Zusammenhang mit den weiteren von der Musterklägerin bereits angekündigten Erweiterungsanträgen zu den materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen entschieden werden.
Dr. Jäde Stephan Dr. Hoffmann
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