Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass ein Erbe die Ausschlagung einer Erbschaft anfechten kann, selbst wenn er vor der Ausschlagung nicht alle möglichen Erkenntnisquellen über den Nachlass ausgeschöpft hat. Voraussetzung ist, dass die Ausschlagung auf einer Fehlvorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses beruht. Ein Erbe ist grundsätzlich nicht verpflichtet, sich umfassend über den Nachlass zu informieren. Wenn die Entscheidung jedoch rein spekulativ getroffen wird, ist eine Anfechtung ausgeschlossen. Der Beschluss des OLG wurde heute veröffentlicht.
Hintergrund des Falls
Im vorliegenden Fall hatte die beschwerdeführende Tochter die Erbschaft ihrer Mutter ausgeschlagen, da sie von einer Überschuldung des Nachlasses ausgegangen war. Erst neun Monate später erfuhr sie von einem erheblichen Guthaben auf den Konten ihrer verstorbenen Mutter und erklärte daraufhin die Anfechtung der Erbausschlagung. Die Tochter beantragte einen Erbschein als Alleinerbin. Das Nachlassgericht wies den Antrag zunächst zurück, da die Anfechtung als unwirksam angesehen wurde.
Die Tochter führte an, dass sie aufgrund der Alkoholkrankheit ihrer Mutter seit ihrem 11. Lebensjahr keinen Kontakt mehr zu ihr hatte. Als sie nach dem Tod ihrer Mutter von der Polizei informiert wurde, hatte man ihr mitgeteilt, dass die Wohnung der Verstorbenen im Bahnhofsviertel in einem schlechten Zustand gewesen sei. Aufgrund dieser Informationen nahm sie an, dass ihre Mutter sozial abgestürzt und hochverschuldet war. Erst später erfuhr sie durch den Nachlasspfleger von den erheblichen Konto-Guthaben ihrer Mutter.
Entscheidung des OLG
Das Oberlandesgericht gab der Beschwerde der Tochter statt. Der 21. Zivilsenat entschied, dass die Anfechtung der Erbausschlagung wirksam war und die Tochter die Erbschaft angenommen hat.
Grundsätzlich könne eine Erbschaft wegen eines Irrtums über eine wesentliche Eigenschaft des Nachlasses angefochten werden, wenn dieser Irrtum ursächlich für die Ausschlagung gewesen sei. Ein solcher Irrtum liege vor, wenn die Vorstellung des Erben von der Realität abweiche. Die Tochter habe sich über die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses, insbesondere über das Vorhandensein des Guthabens, geirrt. Dieser Irrtum sei kausal für die Ausschlagung gewesen.
Obwohl die Tochter nicht alle naheliegenden Erkenntnismöglichkeiten genutzt habe, um sich über den Nachlass zu informieren, sei der Senat aufgrund der Anhörung zu der Überzeugung gelangt, dass ihre Entscheidung auf einer Fehlvorstellung und nicht auf einer bloßen Vermutung basierte.
Fazit
Die Entscheidung des OLG zeigt, dass ein Erbe auch dann die Ausschlagung einer Erbschaft anfechten kann, wenn er zuvor nicht alle verfügbaren Informationen über den Nachlass eingeholt hat. Entscheidend ist, dass die Ausschlagung auf einer tatsächlichen Fehlvorstellung über den Nachlass basiert.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 24.7.2024, Az. 21 W 146/
Kommentar hinterlassen