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Polemische und überspitzte Äußerungen eines Evolutionsbiologen zur „Ehe für alle“ nicht strafbar

Daniel_B_photos (CC0), Pixabay
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Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung erfolgt unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes einer Äußerung.
Die in einem auf einem Onlineportal veröffentlichten Interview eines Evolutionsbiologen getätigten Äußerungen zur vom Bundestag beschlossenen Ehe für alle und einem möglichen Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Ehen, die sowohl tatsächliche als auch wertende Bestandteile enthalten, lassen sich nicht voneinander trennen, ohne dass der Sinn der Äußerung verfälscht wird.
Die Äußerung ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung anzusehen. Mit der Bezugnahme auf „lesbische Frauen“ oder „homosexuelle Männer“ wird eine unüberschaubare Gruppe angesprochen, so dass eine solche Äußerung nicht auf die persönliche Ehre jedes einzelnen Betroffenen durchschlägt. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat deshalb mit heute veröffentlichter Entscheidung die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des LG Kassel verworfen.

Die Staatsanwaltschaft Kassel hatte den Angeklagten – einen früheren Kasseler Hochschulprofessor für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie – wegen seiner in einem auf einem Onlineportal im Rahmen eines Interviews veröffentlichten Äußerungen zur „Ehe für alle“ und einem möglichen Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare angeklagt. Das Interview stand im Kontext der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Einführung der „Ehe für alle“. Gegenstand der Anzeige war u.a. die Bezeichnung homosexueller Paare als „a-sexuelle Erotikvereinigungen“ und die im Zusammenhang mit dem Adoptionsrecht ausgesprochene Warnung vor einem möglichen „Horror-Kinderschänder-Szenario“. Diverse Anzeigenerstatter fühlten sich durch die im Interview getätigten Äußerungen des Angeklagten beleidigt.
Das Landgericht Kassel hatte die Äußerungen insgesamt als Meinungsäußerung gewertet und ihn vom Vorwurf der Beleidigung, der üblen Nachrede und Volksverhetzung freigesprochen.

Die hiergegen eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft verwarf der 2. Strafsenat des OLG, da die Überprüfung des angefochtenen Urteils keine Rechtsfehler ergeben habe.
Zutreffend habe das Landgericht festgestellt, dass die Äußerungen in Bezug auf gleichgeschlechtliche Paare in ihrer Gesamtheit nicht auf die persönliche Ehre von Einzelpersonen durchschlagen und die Angaben des Angeklagten als von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen. Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung sei unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes einer Äußerung zu bewerten. Dabei sei im vorliegenden Fall eine Trennung von tatsächlichen und wertenden Bestandteilen einer Äußerung nicht möglich gewesen, ohne dass der Sinn der Äußerung des Angeklagten verfälscht werde. Die Äußerungen des Angeklagten seien deshalb im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung anzusehen.

Als Bestandteil des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage seien die teilweise polemischen und überspitzten Meinungsäußerungen des Angeklagten nicht als Schmähkritik zu werten und daher nicht strafbar.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 8.2.2022, Az. 2 Ss 164/21
(vorausgehend Landgericht Kassel, Urteil vom 2.3.2021, Az. 1622 Js 25245/17 – 7 Ns)

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