https://www.test.de/Jahresabschluesse-im-Bundesanzeiger-Wenn-die-Zahlen-der-Firmen-ein-Geheimnis-bleiben-5577557-0/
Für welche Unternehmen die Sechs-Monats-Frist gilt
Zum Schutz der Anleger hat der Gesetzgeber festgelegt, dass Unternehmen mit folgenden Arten von Geldanlagen spätestens sechs Monate nach Geschäftsjahresende ihre Zahlen beim Bundesanzeiger einreichen müssen:
- Nach dem 30. Juni 2012 aufgelegte Vermögensanlagen, bei denen sich Anleger an Gesellschaften beteiligen oder ihnen Geld leihen, etwa in Form von Nachrangdarlehen,
- Nach dem 30. Juni 2015 begonnene Schwarmfinanzierungen mit Vermögensanlagen-Informationsblatt (VIB), die über Crowdfunding-Plattformen angeboten werden,
- Alternative Investmentfonds (AIF) für Jahresabschlüsse bis einschließlich 2020. Das Fondsstandortgesetz aus dem Sommer 2021 gewährt den Unternehmen nun neun Monate Zeit.
Zwei Drittel rissen die Fristen
Wir haben untersucht, wann Jahresabschlüsse abrufbar waren – diesmal von den 435 Gesellschaften, die seit Juli 2012 Vermögensanlagen mit Verkaufsprospekt wie Genussrechte, Nachrangdarlehen oder geschlossene Fonds auf den Markt gebracht haben. Bei mehr als zwei Dritteln der Abschlüsse für 2019 bis 2021 war das erst später als sechs Monate nach Geschäftsjahresende der Fall.
Unser Rat
Nachhalten. Wenn Sie Geld bei einem Unternehmen investiert haben oder dies tun wollen, sollten Sie dessen Lage beobachten. Den Jahresabschluss finden Sie online im Bundesanzeiger (unternehmensregister.de).
Nachfragen. Ist der für Ihre Vermögensanlage relevante Jahresabschluss sechs Monate nach Geschäftsjahresende immer noch nicht veröffentlicht, bestehen Sie auf Zusendung. Darauf haben Sie Anspruch (Paragraf 23, Absatz 1, Vermögensanlagengesetz).
Nachlegen. Erhalten Sie keine Antwort, fragen Sie Ihren Finanzberater oder -vermittler. Auch beim Bundesanzeiger oder beim Bundesamt für Justiz sind Beschwerden möglich.
Mangelnde Kontrolle – Lücke im System
Wir fanden zudem eine Lücke im System der Kontrolle. Zwar handeln die beteiligten Institutionen alle nach Vorschrift. Aber es fehlen Rückmeldungen, die helfen könnten, Anleger zu schützen.
So stießen wir auf die Lücke: Als wir im Jahr 2020 erstmals die Veröffentlichung der Abschlüsse geprüft hatten, waren nur 104 Jahresabschlüsse der damals untersuchten 923 Gesellschaften in der Sechs-Monats-Frist veröffentlicht – mehrere Hundert rissen die Frist. Von 42 Prozent der Unternehmen war selbst am 1. Januar 2020 noch nichts zu finden, das betraf vor allem Unternehmen aus dem Ausland und Crowdfundings. Der Bundesanzeiger hatte aber nur 114 Firmen, die unter das Vermögensanlagengesetz fielen, als offenlegungssäumig gemeldet. Für 2017 waren es 69 und für 2016 lediglich 46. Das Rätsel ließ uns keine Ruhe.
Bafin-Liste nicht auf aktuellem Stand
Mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes gelangten wir an die Namen der Gesellschaften, für die Ende 2021 die verkürzte Offenlegungspflicht von sechs Monaten galt. Diese hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) dem Bundesanzeiger geschickt, wie gesetzlich vorgeschrieben. Wir nahmen die Liste ohne Schwarmfinanzierungen, für die ebenfalls die Sechs-Monats-Frist gilt. Diese bereinigten wir, strichen gelöschte Gesellschaften und solche, die ihre Vermögensanlage bereits getilgt haben oder die mittlerweile einem anderen Gesetz, dem Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), unterliegen.
Die Bafin begründet die Inaktualität ihrer Liste damit, dass sie Emittenten von Vermögensanlagen nicht laufend beaufsichtige und ihr Änderungen nicht bekannt würden. Das ist erstaunlich, denn sie ist auch für Angebote nach KAGB zuständig – und Anbieter müssen ihr die vollständige Tilgung einer Vermögensanlage melden.
Keine Rückmeldung an die Bafin
Der Bundesanzeiger kontrolliert, ob die Gesellschaften ihren Jahresabschluss rechtzeitig und vollständig einreichen, also mit Gewinn- und Verlustrechnung, Lagebericht und Bestätigungsvermerks eines Wirtschaftsprüfers. Dass einer dieser Bestandteile fehlt, kommt vor. Bei der Bioenergie Rendite Fonds II GmbH & Co KG waren es 2020 alle drei. Bei Bürgerwind Enzlarer Berg war 2020 von einer Prüfung die Rede – durch Gesellschafter, nicht Wirtschaftsprüfer. Der Abschluss für 2021 steht bei beiden aus.
Das Blöde ist nur: Erklären Gesellschaften, keine Vermögensanlage mehr zu haben, überprüft der Bundesanzeiger das zwar – das Ergebnis reicht er aber nicht an die Bundesfinanzaufsicht Bafin weiter. Auf Nachfrage heißt es: „Rückmeldungen an die Bafin sind nicht gesetzlich vorgesehen und erfolgen auch nicht.“
Mehr Verstöße gemeldet
Verstöße meldet der Bundesanzeiger nur dem Bundesamt für Justiz. Dem Bundesanzeiger fallen seit unserer letzten Untersuchung deutlich mehr Emittenten auf. Waren es im Geschäftsjahr 2019 noch 248, so stieg die Zahl über 383 (2020) auf 503 im vergangenen Jahr.
Das Bundesamt setzt sechs Wochen Nachfrist, sonst drohen in der Regel mindestens 2 500 Euro Ordnungsgeld. Das wiederholt sich, bis die Unternehmen ihre Pflichten erfüllt haben. Bei manchen müssten hohe Beträge aufgelaufen sein: Von der FHM Sachwertportfolio 1 GmbH & Co KG etwa sind seit 2017 keine Abschlüsse veröffentlicht.
Amt führt angeblich keine Statistik
Was wurde aus den Meldungen des Bundesanzeigers? Das Bundesamt äußerte sich gegenüber Finanztest nicht dazu: Es erfasse die Fälle mit Ordnungsgeld und dessen Höhe statistisch nicht. Ihm lägen auch keine statistischen Daten vor, wie oft Fristen und wie oft Inhalte Probleme bereitet hätten.
Die Bafin erfährt das auch nicht. Laut Gesetz meldet ihr das Bundesamt nur Maßnahmen gegenüber Emittentinnen aus dem Ausland. Das hat es nach eigener Aussage noch nie gemacht, weil die Voraussetzungen dafür noch nie vorgelegen hätten.
Sonderprüfungen sind möglich
Im Jahr 2015 hat der Gesetzgeber der Bafin Befugnisse gegeben, Ungereimtheiten in Jahresabschlüssen nachzugehen. Mehr Rückmeldungen an die Bafin könnten das System deutlich stärken. Die Finanzaufsicht darf zum Beispiel Ordnungsgelder bekannt machen, um Missstände zu verhindern oder zu beseitigen. Konkrete Anhaltspunkte für Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften darf sie zum Anlass für Sonderprüfungen nehmen.
Die Bafin erklärt dazu, rein formelle Fehler wie die verspätete Veröffentlichung seien kein Verstoß, der so etwas rechtfertige. Aus einer Verspätung könne nicht geschlossen werden, „dass in der Vergangenheit die Rechnungslegung materiell falsch war“. Das ist prinzipiell richtig – ein Indiz für Probleme in der Rechnungslegung und Kontroversen mit dem Wirtschaftsprüfer kann es aber sehr wohl sein (siehe Beispielfall Green City). Erst recht bei inhaltlichen Mängeln.
Fehlendes Testat vom Wirtschaftsprüfer ist schlechtes Zeichen
Fehlt etwa der Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers, ist das ein sehr schlechtes Zeichen, weil sich das Unternehmen dann nicht in die Bücher schauen lassen wollte oder es einen heftigen Disput mit den Prüfern gab.
Die Solvium Logistik Opportunitäten GmbH & Co KG hatte ihren Jahresabschluss 2020 im Dezember 2021 zum Beispiel zunächst ohne Bestätigungsvermerk veröffentlicht. Im März 2022 folgte dann eine Version mit Testat – und veränderten Positionen im Jahresabschluss. Auf die Gründe ging die Solvium-Gruppe bei unserer Anfrage im Sommer 2022 nicht ein, ebenso wenig auf weitere Fragen zu Jahresabschlüssen der Gruppe (siehe Solvium und die Container – eine riskante Kiste). Ihr damals aktuelles Angebot haben wir auf unsere Warnliste Geldanlage gesetzt.
Bürgerwindparks schnitten besser ab
Unsere Analysen legen nahe: Es fördert die Motivation zur Offenlegung, wenn es jemanden gibt, der im Zweifel nachhakt. Im Jahr 2020 stellten wir etwa fest, dass der Eifer bei Unternehmen größer ist, wenn sie Anlageangebote mit Mitbestimmungsrechten für Anleger aufgelegt hatten.
Bisher leicht Verspätete lieferten bei der aktuellen Untersuchung vermehrt pünktlich ab: 30 Prozent hatten ihre Zahlen innerhalb von 200 Tagen, also etwas mehr als einem halben Jahr, im Bundesanzeiger veröffentlicht (siehe Grafik Nur eine Minderheit gibt pünktlich ab). In den Vorjahren waren es nur ein Zehntel beziehungsweise ein Viertel gewesen.
Trödelt der Bundesanzeiger?
Wie kam es zu den Verspätungen? Wir haben die Gesellschaften selbst oder die Unternehmen, zu denen sie gehören, gefragt. 46 antworteten bis Redaktionsschluss inhaltlich.
GSW Gold Solarwind wollte uns verbieten, etwas zu veröffentlichen. Andere gaben bereitwillig Auskunft und nannten oft Corona als Grund. 17 der 46 teilten mit, sie hätten ihre Zahlen stets rechtzeitig eingereicht, bis zur Veröffentlichung habe es aber gedauert. Dazu zählte ForestFinance. Die Gesellschaft schlug vor, der Bundesanzeiger solle das Einreichungsdatum veröffentlichen. Das wäre gut: Laut den Antworten hatte es bis zu 101 Tage bis zur Veröffentlichung gedauert.
Firmen beklagen Verzögerung
Über die Dauer hatten sich Emittentinnen auch 2020 beschwert. Von den 819 angeschriebenen Emittenten mit verspäteter oder fehlender Veröffentlichung teilten 69 Gesellschaften mit, sie hätten die Zahlen fristgerecht eingereicht, aber zum Teil vier bis sechs Wochen, in einem Fall sogar Monate auf die Veröffentlichung im Bundesanzeiger warten müssen. Die alternativen Investmentfonds Wealthcap Fondsportfolio Private Equity 21 und Private Equity Portfolio 2017 etwa nannten das Einreichdatum 28. Juni 2019. Die Zahlen waren erst am 14. August beziehungsweise 23. August abrufbar.
Zur Dauer äußerte sich der Bundesanzeiger damals und diesmal nicht konkret: Es könne „zu Rechtsfragen, Nachfragen mit Fristsetzung und erneut zu überprüfenden Einreichungen oder Ergänzungen kommen“. Längere Verzögerungen können also auf Klärungsbedarf hindeuten – ein Anlass für Anleger, aufmerksam zu werden.
Verzug eher bei schlechten Zahlen
Eine Faustregel: Gute Zahlen landen eher schnell in der Öffentlichkeit. Je stärker sich die Jahresabschlüsse verspäten, desto höher ist tendenziell das Risiko, dass sich darin unangenehme Überraschungen finden.
Bei geschlossenen Fonds von ThomasLloyd zum Beispiel waren die Jahresabschlüsse für 2020 erst im September 2022 abrufbar – und enthüllten herbe Verluste, was den Wert der Fondsanteile anging (siehe Beispielfälle).
Dass Kontrolle und Sanktionen wirken, zeigt indirekt die Antwort von PI Pro Investor auf unsere Frage nach dem Grund für verspätete Jahresabschlüsse. Die Gesellschaft war von einer Fristverlängerung ausgegangen, weil der Staat wegen Corona zeitweise auf Ordnungsgelder verzichtet hatte. Die Fristen änderten sich für die Emittentinnen von Vermögensanlagen dadurch aber nicht, wie uns das Bundesamt für Justiz bestätigte.
Hinterlegen reicht nicht – geschieht aber trotzdem
Kleinstunternehmen müssen im Normalfall nur abgespeckte Zahlen beim Bundesanzeiger hinterlegen, statt sie zu veröffentlichen. Wer die Zahlen lesen wollte, musste bis Sommer 2022 eine Gebühr zahlen. Für die Unternehmen mit Sechs-Monats-Frist ist das Hinterlegen aber nicht erlaubt. Diesmal waren die Abschlüsse in Einzelfällen nur hinterlegt, im Jahr 2020 hatten wir noch 82 Fälle gefunden. Der Bundesanzeiger verwies damals auf Ausnahmeregelungen im Gesetz. Dazu zählten diese Fälle aber nicht.
Von Firmen aus dem Ausland oft nur Schweigen
Wir haben die Unternehmen gefragt, warum sie Abschlüsse nur hinterlegt haben. Die Steuerberaterin der Plants4friends GmbH aus Seefeld in Österreich räumte ein, dass ein Fehler unterlaufen sei. Von den weiteren 123 Unternehmen aus dem Ausland war 2020 kein Abschluss veröffentlicht. Die meisten reagierten auf unsere Anfrage nicht oder behaupteten telefonisch, für sie gelte die Vorschrift nicht. Das ist falsch: Es kommt nicht auf den Sitz der Firma an, sondern darauf, ob die Geldanlage Anlegern in Deutschland angeboten wurde und unter das Vermögensanlagengesetz fällt.
Ein Blick in die Abschlüsse lohnt sich auch für Laien
Manchmal unterbreiten Unternehmen mehrfach Geldanlageangebote. Interessenten können sich dann anhand der veröffentlichten Abschlüsse ein Bild machen. Selbst wer keine Ahnung von Bilanzen hat, kann bestimmte Formulierungen im Lagebericht verstehen – etwa, dass sich Geschäfte nicht wie erwartet entwickelt hätten.
Liegen noch keine Zahlen vor, kann es sich lohnen nachzufragen. „Reconcept gibt auch vor Jahresabschluss-Veröffentlichungen stets Auskunft über die Entwicklung der jeweiligen Vermögensanlagen“, erläutert etwa Karsten Reetz vom Emissionshaus Reconcept, das auf erneuerbare Energien setzt.
Bisheriges Fazit: Um wenige Wochen oder Monate verspätete Abschlüsse sind unproblematisch, hartnäckiges Verweigern sollte bei Anlegerinnen und Anlegern die Warnlampen angehen lassen.
Quelle:Test
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