Rechtsanwalt Jens Reime aus Bautzen zum Fall „Immotommy“

Published On: Freitag, 23.08.2024By

Interviewer: Herr Reime, der Fall „Immo Tommy“ sorgt derzeit für Schlagzeilen. Was ist Ihre erste rechtliche Einschätzung zu den Vorwürfen?

Rechtsanwalt Reime: Die Vorwürfe gegen den Influencer „Immo Tommy“ und sein Netzwerk sind äußerst schwerwiegend. Wenn sich bestätigt, dass hier systematisch überteuerte Immobilien an unerfahrene Käufer vermittelt wurden, verbunden mit riskanten Finanzierungen und versteckten Provisionen, könnte das nicht nur zivilrechtliche, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Wir sprechen hier möglicherweise von Betrug in großem Stil.

Interviewer: Können Sie das etwas genauer ausführen?

Reime: Gerne. Der Kern des Problems scheint zu sein, dass ein „Rundum-Sorglos-Paket“ beworben wurde, das in Wirklichkeit alles andere als sorglos war. Wenn Käufer gezielt über den wahren Wert der Immobilien, die Risiken der Finanzierung und die tatsächlichen Kosten getäuscht wurden, erfüllt das möglicherweise den Tatbestand des Betrugs nach § 263 StGB. Besonders problematisch sehe ich die angeblich versteckten Provisionen. Das könnte sogar in Richtung gewerbsmäßigen Betrugs gehen, was die Sache noch verschärfen würde.

Interviewer: „Immo Tommy“ beruft sich auf die Eigenverantwortung der Käufer. Wie bewerten Sie das aus juristischer Sicht?

Reime: Das ist ein klassisches Ablenkungsmanöver. Natürlich tragen Käufer eine gewisse Eigenverantwortung, und es ist immer ratsam, sich vor größeren Investitionen umfassend zu informieren. Aber das entbindet den Verkäufer oder Vermittler nicht von seinen Pflichten. Im Gegenteil: Gerade bei komplexen Finanzprodukten und Immobiliengeschäften haben Anbieter eine besondere Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht. Wenn hier systematisch falsche Angaben gemacht oder wichtige Informationen verschwiegen wurden, ist das rechtlich höchst problematisch.

Interviewer: Welche rechtlichen Möglichkeiten haben denn die betroffenen Käufer jetzt?

Reime: Das hängt vom Einzelfall ab, aber grundsätzlich gibt es mehrere Ansatzpunkte. Zunächst einmal könnten Käufer versuchen, den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB anzufechten. Wenn nachgewiesen werden kann, dass wesentliche Eigenschaften der Immobilie falsch dargestellt wurden, wäre das ein möglicher Weg.

Darüber hinaus kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, etwa wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten oder wegen fehlerhafter Beratung. In einigen Fällen könnte sogar über eine Rückabwicklung des gesamten Geschäfts nachgedacht werden.

Allerdings muss ich betonen: Die Beweisführung in solchen Fällen ist oft schwierig. Viele Gespräche wurden vermutlich mündlich geführt, und es steht Aussage gegen Aussage. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn sich betroffene Käufer zusammenschließen und gemeinsam vorgehen würden. Eine Art Sammelklage könnte hier die Erfolgsaussichten deutlich erhöhen.

Interviewer: Apropos Sammelklage – in Deutschland gibt es ja die Musterfeststellungsklage. Wäre das hier ein möglicher Weg?

Reime: Das ist ein interessanter Punkt. Die Musterfeststellungsklage wurde eingeführt, um Verbrauchern bei Massenschäden den Zugang zum Recht zu erleichtern. In diesem Fall könnte das tatsächlich ein geeignetes Instrument sein. Ein Verbraucherverband könnte stellvertretend für die Geschädigten klagen, um grundsätzliche Fragen klären zu lassen – etwa ob die Wertermittlungen fehlerhaft waren oder ob die Aufklärung über Risiken unzureichend war. Das Ergebnis wäre dann für alle angemeldeten Verbraucher bindend.

Allerdings muss man sagen: Die Musterfeststellungsklage ist kein Allheilmittel. Sie klärt nur Grundsatzfragen, individuelle Ansprüche müssen danach immer noch einzeln durchgesetzt werden. Aber es wäre definitiv ein Anfang und könnte den Druck auf „Immo Tommy“ und sein Netzwerk erhöhen.

Interviewer: Kommen wir zum größeren Bild: Der Boom der Finanz-Influencer, kurz Finfluencer, wird ja schon länger kritisch gesehen. Brauchen wir hier strengere Regeln?

Reime: Aus meiner Sicht ganz klar: ja. Die bestehenden Regelungen reichen offensichtlich nicht aus, um Verbraucher ausreichend zu schützen. Wir haben es hier mit einem relativ neuen Phänomen zu tun, bei dem die Gesetzgebung der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinkt.

Ich halte es für dringend notwendig, dass Finanz-Influencer einer stärkeren Regulierung unterworfen werden. Das könnte mehrere Aspekte umfassen:

1. Eine verpflichtende Mindestqualifikation für alle, die öffentlich Finanzberatung betreiben – egal ob online oder offline.
2. Strikte Transparenzregeln bezüglich Interessenkonflikten und Vergütungsmodellen.
3. Eine Haftung für falsche oder irreführende Beratung, ähnlich wie wir sie bei klassischen Finanzberatern kennen.
4. Klare Werberichtlinien, die es verbieten, unrealistische Renditeversprechen zu machen oder Risiken zu verharmlosen.

Interviewer: Das klingt nach erheblichen Einschnitten. Würde das nicht die Meinungsfreiheit der Influencer einschränken?

Reime: Das ist in der Tat ein heikler Balanceakt. Natürlich müssen wir die Meinungsfreiheit schützen, und es wäre falsch, jegliche Äußerung zu Finanzthemen unter Generalverdacht zu stellen. Aber wir müssen uns klar machen: Wenn jemand Millionen von Followern hat und aktiv Finanzprodukte oder Investmentstrategien bewirbt, dann ist das keine bloße Meinungsäußerung mehr. Das ist Finanzberatung, und zwar mit enormer Reichweite und Einflusspotenzial.

Deshalb halte ich es für gerechtfertigt, hier ähnliche Maßstäbe anzulegen wie bei klassischen Finanzberatern. Es geht letztlich darum, Verbraucher vor unseriösen oder inkompetenten Akteuren zu schützen. Das ist kein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern eine notwendige Regulierung eines Marktes, der erhebliche Risiken für Verbraucher birgt.

Interviewer: Zum Schluss: Was raten Sie Verbrauchern im Umgang mit Finanz-Influencern?

Reime: Mein wichtigster Rat ist: Extreme Vorsicht und gesunde Skepsis. Lassen Sie sich niemals zu überstürzten Entscheidungen drängen, egal wie verlockend ein Angebot klingt. Hinterfragen Sie kritisch, woher der Influencer seine Expertise bezieht und ob möglicherweise Interessenkonflikte bestehen.

Gerade bei größeren Investitionen, sei es in Immobilien oder andere Finanzprodukte, ist es unerlässlich, unabhängige Experten zurate zu ziehen. Ein seriöser Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer mag vielleicht nicht so unterhaltsam sein wie ein Influencer, aber er wird Ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit solidere Ratschläge geben.

Und schließlich: Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, dann ist es das meistens auch. Finger weg von vermeintlichen Schnäppchen oder risikolosen Renditeversprechen. In der Finanzwelt gibt es keine Wunder, sondern nur kalkulierbare Risiken und solide Planung.

Interviewer: Herr Reime, vielen Dank für diese ausführlichen Einblicke.

Reime: Gern geschehen. Ich hoffe, das hilft, die rechtlichen Aspekte dieser komplexen Thematik etwas zu erhellen.

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