Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass eine Reiserücktrittsversicherung auch dann leistungspflichtig ist, wenn sich eine vor Versicherungsabschluss erlittene Schürfwunde später unerwartet zu einem schwerwiegenden Geschwür entwickelt. Der 16. Zivilsenat gab damit der Berufung eines Klägers statt, dessen Ehefrau aufgrund eines solchen Krankheitsverlaufs eine gebuchte Reise nicht antreten konnte (Az. 16 U 74/23).
Der Fall: Die Ehefrau des Klägers hatte sich wenige Tage vor Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung bei einem Sturz von einer Leiter eine Schürfwunde am Knöchel zugezogen. Die Wunde infizierte sich später und führte zur Entwicklung eines Geschwürs (Ulkus), das eine stationäre Hauttransplantation erforderte. Der Kläger musste die für Februar 2020 geplante Kubareise stornieren und verlangte die Erstattung der Stornokosten von der Versicherung.
Die Vorinstanz, das Landgericht Itzehoe, hatte die Klage zunächst abgewiesen. Es sah in der Schürfwunde bereits eine Erkrankung der Ehefrau bei Versicherungsabschluss und berief sich auf eine Klausel, die bei Verschlechterung von Vorerkrankungen den Versicherungsschutz ausschloss, sofern in den letzten sechs Monaten eine Behandlung erfolgt war.
Der 16. Zivilsenat des OLG kam nach Vernehmung der behandelnden Ärzte jedoch zu einem anderen Ergebnis. Er sah in der später aufgetretenen Geschwürbildung ein ganz anderes Krankheitsbild als in der ursprünglichen Schürfwunde. Zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses habe es noch keine Anzeichen für eine Infektion gegeben. Selbst wenn man Wunde und Ulkus als einheitliche Erkrankung betrachte, greife der Ausschluss nicht, da eine Behandlung in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss nicht nachgewiesen werden konnte.
Das OLG betonte, dass aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers die Klauseln auf den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung und nicht auf einen einheitlichen „Schadensfall“ abstellten. Die Versicherung müsse daher für die unerwarteten Komplikationen einstehen.
Das Urteil schafft mehr Klarheit für Versicherte und stärkt deren Schutz bei Reiserücktrittsversicherungen. Es stellt klar, dass Versicherer nicht ohne weiteres wegen Vorerkrankungen leistungsfrei werden, wenn sich der Gesundheitszustand später unerwartet und unvorhersehbar verschlechtert. Entscheidend ist die Abgrenzung unterschiedlicher Krankheitsbilder und der Informationsstand bei Vertragsschluss.
Versicherungsnehmer sollten bei Reiserücktrittsversicherungen aber weiterhin auf die genauen Klauseln zu Vorerkrankungen achten und im Zweifel eine Gesundheitsprüfung oder Risikovoranfrage durchführen. Nur so lässt sich die Gefahr vermeiden, dass der Versicherer sich später auf Leistungsausschlüsse beruft.
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