Zwischenzeitlich sind mehrere Wochen vergangen, nachdem der Bundesgerichtshof mit einer bahnbrechenden Entscheidung die Rechte von Versicherungsnehmern stärkte und die Möglichkeit der Rückabwickung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen bestimmter Vertragsgenerationen eröffnet hat (Aktenzeichen der Entscheidung: IV ZR 76/11).
Das Urteil:
In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte der Kläger im Jahr 1998 bei der Allianz Lebensversicherungs AG einen Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen. In dem damals üblichen sogenannten Policenmodell erhielt der Kunde die Vertragsinformationen erst nach der Antragstellung zusammen mit dem Versicherungsschein zugesandt.
Das bis zum Jahr 2008 anwendbare Versicherungsvertragsgesetz sah für diesen Fall vor, dass die zweiwöchige (bzw. später 30-tägige) Frist zur Erklärung des Widerspruchs und zur Rückabwicklung des Vertrages erst ab dem Zeitpunkt zu laufen begann, zu dem dem Versicherungsnehmer alle Unterlagen vollständig und in der gesetzlich vorgeschriebenen Form vorlagen. Wurden Unterlagen nicht vollständig übersandt oder über das Widerspruchsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt, erlosch nach den Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes das Widerspruchsrecht nach Ablauf eines Jahres. Der Kläger kündigte zunächst den Vertrag und berief sich sodann auf ein noch nach Jahren geltendes Widerspruchsrecht, um die Rückabwicklung des Vertrages zu verlangen. Ein Recht hierzu würde noch immer bestehen, weil die Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes gegen europäisches Richtlinienrecht verstoßen würden.
Die Versicherungsunternehmen haben diese Auffassung abgelehnt und über Jahre versucht, ein höchstrichterliches Urteil zu verhindern, indem sie in vergleichbaren Verfahren in letzter Sekunde die Forderungen beglichen. Der Bundesgerichtshof, der diese Vorgehensweise der Versicherungsunternehmen immer wieder kritisierte und wegen der kurzfristigen Anerkenntnisse auch von Nichtentscheidungen sprach (das Gericht meinte damit, wichtige Urteile, die niemals gefällt werden konnten), hatte im Jahr 2011 das Verfahren des Klägers ausgesetzt und konnte die Rechtsfrage dann dem europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Der EuGH stimmte der Auffassung des Klägers in Bezug auf den Verstoß deutschen Rechts gegen Europarecht zu. Der Bundesgerichtshof hat daraufhin am 07.05.2014 die Sache an die Berufungsinstanz zurückverwiesen. Um ein endgültiges Urteil zu fällen, bedurfte es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung.
Der Bundesgerichtshof hat jedoch unumstößlich klargestellt, dass für alle betroffenen Lebensversicherungen, Rentenversicherungen und Zusatzversicherungen zu Lebensversicherungen der Vertragsgenerationen von 1994 bis 2008 ein zeitlich unbefristetes Widerspruchsrecht besteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht oder nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt wurde.
Die Ansprüche des Versicherungsnehmers:
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs hat der Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung aller gezahlten Prämien. Der Kläger muss sich allenfalls den Vorteil anrechnen lassen, den er durch den Versicherungsschutz über die Jahre genossen hat, er muss also den Risikoanteil der Versicherung abziehen lassen.
Zudem stehen dem Kläger weitere Ansprüche auf die sogenannten gezogenen Nutzungen zu. Das Gesetz geht insoweit davon aus, dass jemand, dem zu Unrecht Geld gezahlt wurde, auch das herauszugeben hat, was er mit diesem Geld erwirtschaftet hat. Da davon auszugehen ist, dass die Versicherer die Prämien auch gewinnbringend angelegt hatten, besteht auch ein Anspruch auf diesen Gewinn. Die beiden letzten Punkte waren auch Grund für die Zurückverweisung: Da das Berufungsgericht zu Unrecht den gesamten Anspruch des Klägers abgewiesen hat, sah es sich auch nicht veranlasst, Beweis über die Höhe der Nutzungen bzw. des Risikoanteils zu erheben.
Die Bedeutung für zukünftige Verfahren:
Die Bedeutung für zukünftige Verfahren lässt sich noch schwer einschätzen. Sicher ist, dass dem Versicherungsnehmer eines betroffenen Vertrages nun ein Anspruch auf eine weitergehende Zahlung zusteht, als er sie bei Kündigung erhalten hat oder erhält, denn bei der Kündigung zieht der Versicherer bestimmte Beträge ab um Kosten zu decken – dies darf er beim Widerspruch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nun nicht mehr. Wie hoch die weiteren Ansprüche sind, ist noch nicht sicher. Dies dürfte auch von Vertrag zu Vertrag unterschiedlich sein und lässt sich nicht pauschalisieren.
Interessant ist, dass Versicherer in den auf die BGH Entscheidung nachfolgend verhandelten Parallelfällen oft behaupten, der Risikoanteil, also den Betrag den sie gegebenenfalls von einer Forderung abziehen können, sei extrem hoch gewesen. Von Risikoanteilen bis zu 50 Prozent der Prämien war dort schon die Rede.
Bedenkt man nun, dass eine Risikolebensversicherung ohne „Sparanteil“ bereits zu Kosten im einstelligen Prozentbereich im Vergleich zur Kapitallebensversicherung zu bekommen ist und die Versicherungssummen dort weitaus höher sind, als bei den eher als Geldanlage angepriesenen Verträgen, ist die Argumentation der Versicherungswirtschaft kaum nachzuvollziehen. An ihr zeigt sich jedoch, dass auch aktuell durch das Urteil des Bundesgerichtshofs keine Klarheit geschaffen wurde, weil sich die Versicherungswirtschaft einer klaren Regelung verschließt. Es wird hierfür noch weiterer Urteile bedürfen, für die die Erfolgsaussichten jedoch jetzt gestiegen sind. Um eine Bagatelle, so wie es die Versicherer noch kurz vor der Entscheidung des BGH darstellten, handelt es sich bei den Rückforderungsansprüchen jedenfalls nicht mehr.
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