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Russland verliert junge Menschen

WikiImages (CC0), Pixabay
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Spätestens seit der Teilmobilmachung in Russland verlassen viele Bürger das Land. Schätzungen zufolge könnten bereits über eine Million Menschen ausgewandert sein, darunter vor allem junge Leute. Die Folgen dieses Braindrains werden noch lange nach der Ära von Präsident Wladimir Putin spürbar sein. Schon vor dem Überfall auf die Ukraine gab es zahlreiche Gründe, Russland zu verlassen, wie die Unterdrückung der Opposition, die Einschränkung der Grundrechte und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim im Jahr 2014. Seit Beginn des Krieges und der anschließenden Teilmobilmachung hat die Zahl der Auswanderer weiter zugenommen.

Es gibt kaum offizielle Zahlen, aber Schätzungen deuten auf Hunderttausende bis hin zu Millionen von Menschen hin, die das Land verlassen haben. Im vergangenen Jahr schätzte das britische Verteidigungsministerium, dass etwa 1,3 Millionen Russinnen und Russen das Land verlassen haben. Laut BBC erhielten in den letzten anderthalb Jahren etwa 155.000 Russen Aufenthaltsgenehmigungen in EU-Ländern, auf dem Balkan, in Zentralasien und im Kaukasus. Fast 17.000 haben in der EU politisches Asyl beantragt, von denen nur 2.000 gewährt wurden.

Die vielen Menschen, die seit Kriegsbeginn Russland verlassen, kommen zu denen hinzu, die dies bereits in den vergangenen Jahren getan haben. Seit Putins dritter Amtszeit als Präsident im Jahr 2012 haben laut einer Studie der Freien Universität Berlin bis zu zwei Millionen Menschen das Land verlassen.

Auch in Österreich ist eine spürbare Zunahme von Asylanträgen von Russinnen und Russen zu verzeichnen. Im Jahr 2021 wurden laut Statistik Austria und dem Innenministerium 493 Anträge gestellt, während sich diese Zahl im Jahr 2022 fast auf 912 verdoppelte. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden bereits 319 Anträge gestellt. Ähnliche Trends gibt es auch in Deutschland, jedoch mit weit höheren Zahlen. Deutschland ist das Hauptzielland in Europa, dort wurden im März 45 Prozent der russischen Asylanträge gestellt, während es in Österreich drei Prozent waren.

Viele Menschen wollen Russland verlassen, wissen aber nicht wohin. Die EU und die USA haben die Möglichkeiten für russische Staatsbürgerinnen und -bürger, Asyl zu beantragen, inzwischen erschwert. In Ländern wie Georgien und Armenien ist die Einreise hingegen immer noch relativ einfach.

Kasachstan ist ebenfalls ein beliebtes Ziel, obwohl das Land die Aufenthaltsdauer für Touristen reduziert hat, um die Einreisen zu begrenzen. Neben europäischen Ländern, insbesondere den baltischen Staaten, sind auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Israel, Thailand und Argentinien attraktive Zielländer. Im Februar berichtete die „Washington Post“ sogar von zwei Männern aus dem äußersten Osten Russlands, die mit einem kleinen Boot nach Alaska segelten.

Die meisten Menschen können sich eine Flucht aus Russland jedoch nicht leisten, oder es handelt sich um wehrfähige Männer, die zum „freiwilligen“ Militärdienst gedrängt werden. Bereits die Teilmobilmachung im Herbst führte zu einer massiven Auswanderungswelle und kilometerlangen Warteschlangen an der Grenze zu Kasachstan.

Die Armee bietet nun höhere Gehälter für den Dienst in der Ukraine an, aber der Kreml hat auch Maßnahmen ergriffen, um die Ausreise in Nachbarländer zu erschweren. Im April wurde der erzwungene Einberuf von Reservisten erleichtert und Einberufungsbescheide werden nun elektronisch zugestellt, um Umgehungen zu erschweren. Wer einberufen wird, darf nicht mehr aus Russland ausreisen. Viele Russen versuchen, sich dem Wehrdienst zu entziehen und organisieren sich in Telegram-Gruppen. Der Grenzschutz erwischt jedoch regelmäßig Männer, die versuchen, ins Ausland zu gelangen. Manche verstecken sich in Frachtgütern, haben gefälschte Papiere oder tragen Frauenkleidung.

Es ist schwierig abzuschätzen, welche langfristigen Auswirkungen die Auswanderung auf die russische Wirtschaft haben wird. Die Auswanderung von einer Million Menschen ist angesichts einer Gesamtbevölkerung von 145 Millionen verkraftbar. Allerdings werden der Krieg und die westlichen Sanktionen noch lange nachwirken. Insbesondere der Braindrain, vor allem junger Menschen, wird langfristige Auswirkungen haben. Das russische Kommunikationsministerium gab Ende des letzten Jahres bekannt, dass etwa zehn Prozent der IT-Fachkräfte Russland verlassen und nicht zurückkehren. Die größte private Bank Russlands, die Alfa Bank, gab an, dass 1,5 Prozent ihrer Arbeitskräfte das Land verlassen haben. Viele Unternehmen klagen über Personalmangel und Schwierigkeiten bei der Rekrutierung.

Es handelt sich nun um eine ausgewachsene demografische Krise, so der Ökonom Oleg Itskhoki von der University of California gegenüber NPR. Ohne Arbeitskräfte werden viele Unternehmen ihre Aktivitäten einschränken oder sogar schließen müssen. Der Krieg kostet Russland inzwischen Hunderte Millionen Dollar pro Tag. Putin wird sich entscheiden müssen: Entweder erhöht er die Steuern, wahrscheinlich für Unternehmen, oder er drängt die Menschen zum Kauf von Kriegsanleihen – oder er tut beides, was jedoch die Unterstützung für den Krieg in der russischen Bevölkerung untergraben könnte. Der Kreml wird darauf achten, die unbeliebtesten Maßnahmen zu vermeiden.

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