Die Inflation in Russland hat neue Höhen erreicht und spiegelt die tiefgreifenden wirtschaftlichen Spannungen wider, die das Land durch den anhaltenden Krieg in der Ukraine und die massive Aufrüstung des Militärs erlebt. Lebensmittel wie Butter, Fleisch und Zwiebeln sind im letzten Jahr um 25 % teurer geworden, was einige Supermärkte dazu veranlasst hat, Butter hinter verschlossenen Schränken aufzubewahren, um Diebstähle zu verhindern. Laut offiziellen Angaben liegt die Inflationsrate knapp unter 10 % und damit weit über den Erwartungen der Zentralbank.
Die Ursachen: Krieg und Überhitzung der Wirtschaft
Russlands Wirtschaft leidet unter einer Überhitzung, angetrieben durch milliardenschwere staatliche Ausgaben für den Krieg. Der Kreml investiert massiv in die Rüstungsindustrie, während Millionen Männer für den Krieg mobilisiert werden. Dadurch ist der Arbeitsmarkt stark unter Druck geraten: Unternehmen außerhalb des Verteidigungssektors müssen höhere Löhne zahlen, um Arbeitskräfte zu halten, was wiederum die Preise antreibt.
Laut Alexandra Prokopenko vom Carnegie Russia Eurasia Center verzerren diese unproduktiven Staatsausgaben die Nachfrage in der Wirtschaft und verstärken den Inflationsdruck. Es handle sich um ein „Wachstum ohne Entwicklung“, da die Mittel nicht in grundlegende Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur fließen.
Maßnahmen der Zentralbank und anhaltende Probleme
Um die Inflation einzudämmen, hat die russische Zentralbank im Oktober den Leitzins auf 21 % angehoben – ein Rekordwert. Einige Ökonomen gehen davon aus, dass die Zinsen im nächsten Monat sogar auf 23 % steigen könnten. Doch diese Maßnahmen belasten die Unternehmen stark. Alfa Bank warnte kürzlich, dass die steigenden Finanzierungskosten das Risiko von Insolvenzen erhöhen könnten.
Gleichzeitig treibt der Kreml die Militärausgaben weiter voran: Im Jahr 2025 wird das Militärbudget um fast 25 % steigen und etwa 40 % des Bundeshaushalts ausmachen. Sozialausgaben, darunter Renten und Sozialleistungen, sind dagegen stark unterfinanziert und werden weniger als die Hälfte des Verteidigungsbudgets betragen.
Arbeitskräftemangel und steigende Löhne
Mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von nur 2,4 % steht Russland vor einem akuten Arbeitskräftemangel. Präsident Wladimir Putin bezeichnete diesen Mangel kürzlich als eines der größten Hindernisse für das Wirtschaftswachstum. Bau- und Fertigungsindustrien benötigen Hunderttausende neuer Arbeitskräfte, die derzeit schlichtweg nicht verfügbar sind.
Russland hat traditionell auf Arbeitskräfte aus Zentralasien zurückgegriffen. Doch angesichts zunehmender Fremdenfeindlichkeit und Konkurrenz durch andere Länder wie den Nahen Osten oder Südkorea könnte der Zustrom von Arbeitsmigranten geringer ausfallen als erwartet.
Langfristig verschärfen sich die demografischen Probleme: Die Bevölkerung wird laut den Vereinten Nationen bis 2030 auf 142 Millionen schrumpfen, und der Anteil älterer Menschen wächst rapide. Der Krieg und die damit verbundene Auswanderungswelle, die vor allem junge und gut ausgebildete Fachkräfte betrifft, verschärfen den Arbeitskräftemangel zusätzlich.
Ein zweischneidiges Schwert: Kriegsbedingter Wohlstand und Ungleichheit
Trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen gibt es auch Gewinner der Kriegswirtschaft. Verteidigungsarbeiter, IT-Spezialisten und Bauarbeiter profitieren von steigenden Löhnen und Prämien. Soldaten erhalten bis zu dreimal das Durchschnittsgehalt sowie großzügige Prämien bei Vertragsabschluss. Im Falle eines Todes im Kampf erhalten die Familien der Gefallenen hohe Entschädigungen – ein Phänomen, das der Ökonom Vladislav Inozemtsev als „Todesökonomie“ bezeichnet.
Diese Gehaltssteigerungen haben in einigen Regionen einen Konsumboom ausgelöst. Doch nicht alle profitieren: Besonders Lehrer, Ärzte, Rentner und Empfänger von Sozialleistungen sind von den steigenden Preisen hart getroffen.
Widerstandsfähigkeit trotz Sanktionen
Trotz umfassender westlicher Sanktionen bleibt die russische Wirtschaft erstaunlich widerstandsfähig. Russland hat Wege gefunden, Technologie über Drittstaaten wie die Türkei und Zentralasien zu importieren, und seine Einnahmen aus Öl- und Gasexporten nach Indien und China bleiben hoch. Zudem profitiert der Staat von steigenden Steuereinnahmen, da die Haushaltsausgaben der Russen trotz der Krise zunehmen.
Analysten betonen jedoch, dass dies kein langfristig nachhaltiges Modell ist. Ein Rückgang der Rohstoffpreise oder eine geringere Nachfrage aus China könnten Russlands Wirtschaft empfindlich treffen.
Fazit: Langfristige Risiken trotz kurzfristiger Stabilität
Die russische Wirtschaft zeigt sich widerstandsfähig und wächst 2024 voraussichtlich um 3,6 %, trotz des anhaltenden Krieges und der westlichen Sanktionen. Doch die strukturellen Schwächen – eine überhitzte Wirtschaft, demografische Probleme und die Abhängigkeit von Rüstungsausgaben – könnten langfristig zu einer wirtschaftlichen Krise führen.
Kurzfristig genießt Russland die Früchte seiner Kriegswirtschaft, insbesondere in den großen Städten. Doch ein Ende des Konflikts würde eine schmerzhafte Umstrukturierung erfordern: die Wiedereingliederung von Soldaten, die Umschichtung von Militärausgaben und die Bewältigung des Arbeitskräftemangels. Ohne tiefgreifende Reformen könnte Russland langfristig vor einer schweren wirtschaftlichen Herausforderung stehen.
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