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Schlussanträge der Generalanwältin in der Rechtssache C-723/21 | Stadt Frankfurt (Oder) und FWA

AJEL (CC0), Pixabay
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Trinkwasserpolitik: Nach Auffassung von Generalanwältin Medina sind die
Mitgliedstaaten verpflichtet, die Zulassung eines Vorhabens abzulehnen,
wenn es zur Verschlechterung der Qualität eines Wasserkörpers führen
kann Die Zulassung eines Vorhabens ist nur dann möglich, wenn seine Durchführung nicht die Qualität des Trinkwassers beeinträchtigt, mit dem die Einwohner des betreffenden Gebiets versorgt werden

Das Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe in Cottbus (Deutschland) genehmigte einen Antrag der Lausitz Energie Bergbau AG in Bezug auf die Anlegung eines künstlichen Sees. Der See, der mittels Flutung einer durch Braunkohleabbau entstandenen Grube geschaffen werden soll, würde einen Überlauf haben, über den Wasser in
die Spree fließen würde. Nach Entstehung des Sees wird das über den Überlauf austretende Wasser eine deutlich höhere Sulfatkonzentration als das Spreewasser aufweisen.

Die Spree ist eine der Quellen, die die Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft (FWA) für die Trinkwassergewinnung nutzt. Das Flusswasser weist bereits eine hohe Konzentration an Sulfat auf, das aus stillgelegten Tagebauen stammt. Für das in die Versorgungsleitungen eingespeiste Trinkwasser existiert ein bestimmter Sulfatgrenzwert, der von der FWA bislang nur knapp eingehalten wird. Die Stadt Frankfurt (Oder) und
die FWA befürchten, dass durch den geplanten Zufluss in die Spree die Sulfat-konzentration dieses Flusses den Grenzwert überschreiten wird und dass sie deshalb die Trinkwassergewinnung dort einstellen oder technisch grundlegend umrüsten müssen. Sie haben daher Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss erhoben.

Das Verwaltungsgericht Cottbus (Deutschland) hat dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die darauf abzielen, dass zum ersten Mal Art. 7 Abs. 3 der Wasserrahmenrichtlinie1 ausgelegt wird. Nach dieser Vorschrift müssen die Mitgliedstaaten für den erforderlichen Schutz der ermittelten Wasserkörper sorgen, um eine Verschlechterung ihrer Qualität zu verhindern und so den für die Gewinnung von Trinkwasser erforderlichen Umfang der Aufbereitung zu verringern. Sie können Schutzgebiete für diese Wasserkörper festlegen.

In ihren heute verlesenen Schlussanträgen legt Generalanwältin Laila Medina ihre Standpunkte dar, wobei sie die Bedeutung hervorhebt, die das Primärrecht der Union dem Umweltschutz beimisst.

Was die Frage der Klagebefugnis anbelangt, ist die Generalanwältin der Auffassung, dass die juristischen Personen, denen nach nationalem Recht die Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser obliege, oder die Personen, die mit der Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser betraut worden seien, verlangen könnten, dass eine zuständige Behörde, die für die Zulassung eines Vorhabens verantwortlich sei, das sich 1 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. 2000, L 327, S. 1). potenziell nachteilig auf den Umfang der Trinkwasseraufbereitung auswirken könne, die in der Wasserrahmenrichtlinie vorgesehenen Verpflichtungen einhalte. Erforderlichenfalls könnten solche juristischen Personen hierfür Klage vor einem zuständigen Gericht erheben.

Sodann bestimmt Generalanwältin Medina den Umfang der Pflicht der Mitgliedstaaten, für den erforderlichen Schutz der für die Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörper zu sorgen. Ihrer Auffassung nach hat diese Pflicht verbindlichen Charakter und ist bei der Genehmigung konkreter Vorhaben relevant. Die Mitgliedstaaten müssten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die spezifischen Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu
verwirklichen. Zudem weise die Verwendung der Formulierung „erforderlicher Schutz“ in Art. 7 Abs. 3 bei einer Betrachtung im Licht des Grundsatzes der Vorbeugung darauf hin, dass die zuständige Behörde vor der Genehmigung eines konkreten Vorhabens zunächst feststellen müsse, dass dieses Vorhaben keine negativen Auswirkungen auf die Qualität der für die Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörperentfalten werde.

Die Mitgliedstaaten müssten die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen, und zwar mit den Zielen, vorbeugend zu handeln und eine Verschlechterung der Wasserqualität zu verhindern, den Umfang der Aufbereitung zu verringern und damit die nachhaltige Wassernutzung zu gewährleisten sowie dem Einsatz von Abhilfemaßnahmen vorzubeugen. Diese Pflicht gelte unabhängig davon, ob sich der betreffende Wasserkörper
innerhalb oder außerhalb eines Schutzgebiets im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie befinde.

Des Weiteren vertritt die Generalanwältin die Auffassung, dass eine Verschlechterung der Wasserqualität vorliege, wenn ein Vorhaben geeignet sei, die in der Trinkwasserrichtlinie 2 festgelegten Parameter für Trinkwasserqualität zu überschreiten. In einem Fall, der Überwachungsparameter (wie für Sulfat) betreffe, müsse allerdings festgestellt
werden, dass eine Gefahr für die menschliche Gesundheit bestehe. Schließlich prüft Generalanwältin Medina, welche Pflichten der zuständigen Behörde obliegen, wenn sie entscheidet, ob sie ein Vorhaben zulässt. Die Behörde sei insbesondere verpflichtet, die Zulassung abzulehnen, wenn ein Vorhaben die Qualität des für die Trinkwassergewinnung genutzten Wasserkörpers verschlechtern könne. Art. 7 Abs. 2 der Wasserrahmenrichtlinie füge der Interessenabwägung im Sinne dieser Richtlinie einen weiteren Aspekt hinzu, nämlich den, dass die Genehmigung eines Vorhabens nur dann zulässig sei, wenn dessen
Durchführung das Wasser, mit dem die Einwohner des betroffenen Gebiets (durch den Wasserhahn) versorgt würden, nicht beeinträchtige. Dies bedeute, dass ein Vorhaben nur genehmigt werden könne, wenn es, sofern erforderlich, ein vollständiges Maßnahmenpaket umfasse, mit dem sichergestellt werde, dass die Einhaltung
der Trinkwasserrichtlinie nicht gefährdet werde.

HINWEIS: Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

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