Kurz vor den Parlamentswahlen in Spanien am 23. Juli zeigen Umfragen einen Vorsprung der konservativen Opposition vor den Sozialdemokraten. Laut den Umfragen ist die Volkspartei Partido Popular (PP) jedoch auf die rechtspopulistische Vox angewiesen, um eine Mehrheit zu erreichen.
Eine solche Koalition würde eine Zäsur darstellen, da die Vox bereits mehrmals gegen Gesetze für Frauen und Transsexuelle gestimmt hat. Auch in der EU gibt es Sorgen vor einem möglichen Rechtsruck in dem bisher progressiven Land. Normalerweise lautet die sozialwissenschaftliche These, dass europäische Länder im Norden und mit einem protestantischen Hintergrund gesellschaftlich liberaler eingestellt sind. Spanien, das im Süden liegt und mehrheitlich katholisch ist, galt bisher als Ausnahme und hat sich in den letzten Jahren zu einem der gesellschaftspolitisch progressivsten Staaten Europas entwickelt.
Ministerpräsident Pedro Sanchez von der sozialdemokratischen Partido Socialista Obrero Espanol (PSOE) hat sich für ein „feministisches Spanien“ und „echte Gleichheit“ ausgesprochen. Spanien führte als erstes Land in Europa einen bezahlten Menstruationsurlaub für Frauen ein. Geschlechtsspezifische Gewalt wurde als strukturelles Problem betrachtet, das bekämpft werden muss, und es wurden spezielle Gerichte eingerichtet, die sich ausschließlich mit Gewaltdelikten gegen Frauen befassen.
Unter der Regierung der PSOE wurde 2004 ein Gesetz verabschiedet, das Frauen vor Partnergewalt schützen soll. 2007 wurde das Programm „VioGen“ eingeführt, das staatlichen Stellen Informationen über Gewalt gegen Frauen zur Verfügung stellt. Transsexuellen Menschen ist es ab dem 16. Lebensjahr möglich, ihren Geschlechtseintrag einfach zu ändern. Bereits 2005 wurde die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt.
Der bisher progressive Kurs, der die spanische Gesellschaftspolitik seit dem Ende der Franco-Diktatur geprägt hat, könnte jedoch in Gefahr sein. Wenn die Umfragen stimmen, werden die Konservativen am 23. Juli die Wahl gewinnen, aber für eine Mehrheit auf die rechtspopulistische und europaskeptische Partei Vox angewiesen sein.
Laut einer Umfrage des Instituts GAD3 für die konservative Zeitung „ABC“ liegt die sozialdemokratische PSOE mit 28,5 Prozent hinter der konservativen PP, die mit 37,2 Prozent führt. Die Vox erhält laut GAD3 11,7 Prozent der Stimmen. Aufgrund der starken politischen Lagerbildung in Spanien ziehen einige in der konservativen PP eine Koalition mit der Vox in Betracht, wenn dies erforderlich ist, berichtete die Online-Plattform Merkur.
Die im Jahr 2013 von enttäuschten Konservativen gegründete Vox spricht vor allem „Rechte, Rassisten, strenggläubige Katholiken, Franquisten und Protestwähler“ an, so der deutsche „Spiegel“. In ihrem Programm fordert die Vox eine zentralistische Verfassung, lehnt die Autonomierechte der Katalanen ab, hetzt gegen Einwanderer und Transsexuelle und sieht sich als Vertreter des Antifeminismus. Sie fordert die Aufhebung mehrerer Gesetze zum Schutz von Frauen vor Gewalt und steht kritisch zur Abtreibung und zur gleichgeschlechtlichen Ehe. Die PP hofft, die Vox in der Regierung „einzudämmen“, so der „Spiegel“. Wenn jedoch der Vox-Vorsitzende Santiago Abascal Conde den Posten des Innenministers fordert, könnten progressive Gesetze gefährdet sein. Auch der Konflikt mit den katalanischen Separatisten könnte sich bei einer Regierungsbeteiligung der Vox verschärfen.
Ursprünglich waren die Parlamentswahlen in Spanien erst für Dezember geplant. Die Sozialdemokraten und ihr Regierungspartner Podemos erlitten jedoch bei den regionalen und kommunalen Wahlen Ende Mai herbe Verluste, woraufhin Ministerpräsident Sanchez in einem von den Medien als riskant bezeichneten Schritt Neuwahlen für den 23. Juli angesetzt hat.
Die PP hat Spanien „wie ein Tsunami überrollt“, titelte die renommierte Zeitung „El Mundo“. Die Konservativen gewannen in sieben der acht größten Städte – das gab es seit der Gründung von PP und PSOE nach dem Ende der Franco-Diktatur im Jahr 1975 noch nie. Auch die Vox ging als Wahlsieger aus den Kommunalwahlen Ende Mai hervor. Sie verdoppelte ihre Stimmenzahl landesweit auf knapp 7,2 Prozent und konnte ihre Sitzzahl in mehreren
Kommentar hinterlassen