In einer dramatischen Wendung der Ereignisse hat Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol in einer unangekündigten nächtlichen Fernsehansprache am Dienstag das Kriegsrecht verhängt. Er begründete diesen Schritt mit angeblichen „staatsfeindlichen Aktivitäten“ der Opposition sowie Sympathien für Nordkorea. Doch nur wenige Stunden später setzte das Parlament des Landes die Anordnung einstimmig außer Kraft – ein seltenes und symbolträchtiges Votum, das das demokratische Fundament Südkoreas erneut auf die Probe stellt.
Der Verlauf der Ereignisse
In den frühen Morgenstunden des 4. Dezembers versammelten sich 190 Abgeordnete der 300-köpfigen südkoreanischen Nationalversammlung zu einer Notfallsitzung. Die Parlamentarier stimmten einstimmig gegen das von Yoon verhängte Kriegsrecht, das laut Yonhap News Agency alle politischen Aktivitäten untersagt, Verhaftungen ohne Haftbefehl ermöglicht und Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit vorsieht. Nach der Abstimmung begannen Dutzende Soldaten, die das Parlamentsgebäude bereits besetzt hatten, mit dem Rückzug.
Draußen vor dem Parlamentsgebäude jubelten die versammelten Bürger, einige riefen: „Lang lebe die Republik Korea!“ und „Yoon Suk-yeol, tritt zurück!“ Trotz des Parlamentsvotums bleibt unklar, ob Präsident Yoon der Entscheidung folgen wird, wie es die Verfassung vorschreibt.
Was bedeutet das Kriegsrecht?
Die Verhängung des Kriegsrechts in Südkorea erlaubt laut der veröffentlichten militärischen Anordnung:
- Ein Verbot aller politischen und parlamentarischen Aktivitäten,
- Verhaftungen ohne Haftbefehl,
- Verbote von „falschen Nachrichten“ und „Manipulation der öffentlichen Meinung“ sowie
- Maßnahmen gegen jegliche Versuche, die Demokratie zu untergraben.
Es ist das erste Mal seit 1980, dass ein südkoreanischer Präsident das Kriegsrecht verhängt – ein düsteres Echo auf die autoritäre Vergangenheit des Landes. Yoon, der seit 2022 Präsident ist, hat durch seine harte Linie gegenüber Nordkorea und eine Reihe von Skandalen bereits große Kontroversen ausgelöst.
Die Reaktionen
Die Reaktion auf Yoons Entscheidung war überwältigend negativ, selbst aus den eigenen Reihen. Der Vorsitzende von Yoons konservativer Regierungspartei „People Power Party“, Han Dong-hoon, verurteilte die Einführung des Kriegsrechts und versprach, gemeinsam mit den Oppositionsparteien dagegen vorzugehen.
Die US-Regierung, ein enger Verbündeter Südkoreas, zeigte sich von der Entwicklung überrascht. Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates erklärte, dass die USA nicht vorab über Yoons Entscheidung informiert worden seien. Präsident Joe Biden gab bekannt, dass er sich „gerade erst“ über die Situation informieren ließ, und zeigte sich besorgt über die möglichen geopolitischen und wirtschaftlichen Folgen.
Der Hintergrund: Yoons kontroverse Präsidentschaft
Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2022 hat Yoon Suk Yeol immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Seine Popularität sank rapide, nachdem seine Regierung in eine Reihe von Skandalen verwickelt wurde:
- Die Tragödie bei den Halloween-Feierlichkeiten in Itaewon, bei der 159 Menschen ums Leben kamen, führte zu scharfer Kritik an der Regierung und Forderungen nach Verantwortung.
- Die sogenannte „Dior-Taschen-Kontroverse“, bei der Yoons Ehefrau beschuldigt wurde, ein teures Designer-Geschenk angenommen zu haben, sorgte für weitere Empörung.
Der jüngste politische Konflikt mit der liberalen Opposition, die Yoons Regierung für inkompetent hält und seine Budgetpläne ablehnt, hat offenbar zur Verhängung des Kriegsrechts beigetragen.
Ausblick: Was passiert als nächstes?
Laut der südkoreanischen Verfassung ist Präsident Yoon verpflichtet, der Entscheidung des Parlaments zu folgen und das Kriegsrecht aufzuheben. Der weitere Verlauf bleibt jedoch unklar. Yoons Kabinett muss die Aufhebung offiziell beraten und bestätigen, was den Prozess verzögern könnte.
Für Südkorea, das seit den 1980er-Jahren eine blühende Demokratie ist, markiert diese Episode einen schweren Moment politischer Instabilität. Sie wirft auch Fragen darüber auf, ob die demokratischen Institutionen des Landes in der Lage sind, die aktuelle Krise zu bewältigen – oder ob sich ein autoritärer Rückschritt andeutet.
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