Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat am 03.12.2024 ein Urteil in einem Berufungsverfahren im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselabgasskandal“ verkündet. Gegenstand der Klage war der Vorwurf, dass ein Wohnmobil, dessen Basisfahrzeug von der Beklagten, einem Automobilhersteller, produziert wurde, mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet sei. Die Klägerin forderte Schadensersatz in Form eines „großen Schadensersatzes“ (Rückabwicklung des Kaufvertrags) oder hilfsweise in Form eines „Differenzschadens“. Das Berufungsgericht wies die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Konstanz zurück und entschied zugunsten der Beklagten.
Leitsätze des Gerichts
- In Fällen des „Dieselabgasskandals“ muss die klagende Partei greifbare Umstände vortragen, die ihren Verdacht stützen, dass das betroffene Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet ist. Sie muss dabei nicht im Detail erklären, wie diese funktionieren.
- Greifbare Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen können sich aus Rückrufmaßnahmen oder behördlichen Feststellungen zu Fahrzeugen mit vergleichbarem Motor und technischer Konfiguration ergeben.
- Eine zeitbasierte Abschalteinrichtung („Timerfunktion“), die die Abgasrückführungsrate nach etwa 22 Minuten reduziert, ist nicht als „prüfstandsbezogen“ im Sinne von § 826 BGB zu bewerten, wenn sie unter Prüfstandsbedingungen und im Straßenbetrieb gleichermaßen funktioniert.
- Die Klägerin hat das Vorliegen einer unzulässigen Timerfunktion oder eines unzulässigen Thermofensters nicht ausreichend substantiiert. Selbst wenn solche Funktionen als unzulässig zu werten wären, fehlt es an der erforderlichen Sittenwidrigkeit im Sinne von § 826 BGB.
- Ein Anspruch auf Differenzschadensersatz scheitert daran, dass der angebliche Schaden durch die zu berücksichtigenden Nutzungsvorteile und den Restwert des Fahrzeugs vollständig ausgeglichen wird.
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb 2019 ein gebrauchtes Wohnmobil der Marke Sunlight, dessen Basisfahrzeug ein Fiat Ducato ist. Sie machte geltend, das Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet, darunter eine sogenannte „Timerfunktion“ und ein „Thermofenster“. Die Klägerin argumentierte, dass diese Einrichtungen die Abgasrückführung im Realbetrieb reduzieren und damit gesetzliche Emissionsgrenzwerte nicht einhalten würden. Die Typgenehmigung sei nur durch Täuschung der Zulassungsbehörde erlangt worden.
Das Landgericht Konstanz hatte die Klage abgewiesen, da die Klägerin weder das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen ausreichend belegen noch eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte nachweisen konnte. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein.
Entscheidung des Oberlandesgerichts
Das Oberlandesgericht bestätigte das Urteil des Landgerichts und wies die Berufung der Klägerin zurück.
1. Keine ausreichende Substantiierung der Vorwürfe
Das Gericht führte aus, dass die Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Timerfunktion oder eines Thermofensters vorgetragen habe. Zwar sei von der Klägerin nicht zu verlangen, die genaue Funktionsweise darzulegen. Jedoch müssten greifbare Tatsachen vorgetragen werden, die auf eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem spezifischen Motor des Fahrzeugs schließen lassen. Die vorgelegten Dokumente und Berichte betrafen jedoch andere Fahrzeugtypen oder Motoren, die nicht mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug vergleichbar seien.
2. Keine Sittenwidrigkeit im Sinne von § 826 BGB
Selbst wenn die behaupteten Abschalteinrichtungen vorhanden wären, könnte eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB nicht begründet werden. Eine „Timerfunktion“, die die Abgasreinigung nach einer festen Betriebsdauer reduziert, ist nicht „prüfstandsbezogen“, da sie sowohl im Prüfstandsbetrieb als auch im Straßenbetrieb gleichermaßen aktiv ist. Auch ein Thermofenster, das die Abgasrückführung abhängig von der Umgebungstemperatur regelt, arbeitet auf dem Prüfstand nicht anders als im Straßenbetrieb. Es fehle an einer Täuschungsabsicht oder einer besonders verwerflichen Gesinnung der Beklagten. Zudem habe die italienische Typgenehmigungsbehörde die Funktionen genehmigt, sodass eine Täuschung dieser Behörde nicht vorliege.
3. Kein Differenzschaden
Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens wurde abgelehnt. Selbst wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung vorläge, wäre der angebliche Schaden der Klägerin durch die Vorteile der Fahrzeugnutzung sowie den Restwert des Fahrzeugs vollständig ausgeglichen. Das Gericht schätzte den Restwert des Wohnmobils auf mindestens 29.800 Euro, und der Nutzungsvorteil wurde auf rund 17.700 Euro berechnet. Zusammen überstiegen diese Beträge den ursprünglichen Kaufpreis des Fahrzeugs von 43.500 Euro, sodass kein Differenzschaden verbleibe.
Kosten und weitere Entscheidungen
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 ZPO. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die entscheidungserheblichen Rechtsfragen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits geklärt sind.
Fazit
Das Urteil zeigt, dass in Fällen des „Dieselabgasskandals“ hohe Anforderungen an die Substantiierung von Behauptungen zu unzulässigen Abschalteinrichtungen gestellt werden. Zudem betont das Gericht, dass eine Haftung wegen sittenwidriger Schädigung nicht allein aufgrund des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung angenommen werden kann, sondern zusätzliche Umstände wie eine Täuschungsabsicht erforderlich sind.
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