Über Amerika werden viele Geschichten erzählt, derzeit häufen sich die dramatischen. Etwa jene von einem 48-jährigen, vierfachen Familienvater, der seinen 80.000-$-Ingenieursjob bei einer Baufirma verloren hat und sich jetzt mit mehreren minderwertigen Teilzeitjobs und 20.000$ Jahreseinkommen über Wasser halten muss.
Oder jene vom kalifornischen Küstenstädtchen Ventura, einer an sich gut situierten Gegend, in der inzwischen fast 20 Prozent der Einwohner von Obdachlosigkeit betroffen sind. Einst wohlhabende Leute müssen-Job weg, Haus verpfändet-plötzlich im Auto übernachten( was zwischenzeitlich sogar erlaubt wurde) und bei der Heilsarmee um Essen anstehen. Die Medien sind voll von derartigen Geschichten. Sie alle zeigen, dass die USA noch lange nicht über den Berg sind und erklären, wieso sich auch die Finanzmärkte wieder verstärkt um die US-Wirtschaft sorgen. Vor allem aber schüren sie längerfristige Zukunftssorgen. Denn all diese Horrorgeschichten lassen sich-leider-durch harte Fakten und Daten untermauern, die beweisen, dass Amerika ganz tiefgreifende Strukturprobleme hat.
Ein Knackpunkt ist der schwer angeschlagene Arbeitsmarkt
Die Arbeitslosenquote liegt mit über neun Prozent bereits auf einem historisch selten, aber doch schon mal gesehenen Hoch. All jene, die bereits resignieren und sich gar nicht mehr arbeitslos melden, fallen in diese Statistik allerdings gar nicht mehr hinein, sodass Schätzungen von einer „echten“ Arbeitslosenrate von um die 17 Prozent ausgehen. Besonders dramatisch ist aber die Entwicklung der Langzeitarbeitslosen: Fast sieben Millionen Amerikaner stehen-offiziell-schon länger als 27 Wochen ohne Job da, das sind rund 45 Prozent aller Arbeitslosen-ein seit dem Zweiten Weltkrieg nicht einmal annähernd gesehenes Niveau!
Und das immerhin nach einem historischen Rebound der Konjunktur, die sich rascher als erwartet von der Rezession erholt hat. Diese Erholung ist am Arbeitsmarkt fast spurlos vorübergegangen: Unternehmen haben zuletzt ihre Gewinne wieder kräftig gesteigert und auch durchaus wieder investiert-dies allerdings nur in neue Anlagen und Maschinen, jedoch nicht in neue Jobs. Ökonomen sprechen von einer historisch einmaligen Entkoppelung der Beschäftigung von den Investitionen, wie es sie in einem Aufschwung überhaupt noch nie gegeben habe. Offenbar dürften eher die großen Exporteure vom globalen Aufschwung profitiert haben und nicht die kleineren, auf den Heimmarkt fokussierten Unternehmen, die so viele Binnenjobs stellen-oder eben nicht. Ohne eine spürbare Erholung des Arbeitsmarkts scheint aber der gesamte Aufschwung in seiner Nachhaltigkeit gefährdet. Schließlich zeichnet der Binnenkonsum für rund 70 Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung verantwortlich. Ohne den privaten Konsum geht also gar nichts. Und schon wird ein wahrer Teufelskreis ersichtlich: Ohne handfesten Aufschwung keine Arbeitsplätze, aber ohne Arbeitsplätze kein Aufschwung.
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