Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Frage zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Bundeskartellamt in einem Kartellverwaltungsverfahren vertrauliche Informationen der Betroffenen gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten offenlegen darf.
Sachverhalt:
Das Bundeskartellamt versandte im Juni 2023 eine vorläufige rechtliche Einschätzung an Alphabet Inc., Mountain View, USA, und Google Germany GmbH, Hamburg, zu Googles Praktiken im Zusammenhang mit den Google Automotive Services. Das Bundeskartellamt beabsichtigt, unter Anwendung der neuen Vorschriften für Digitalkonzerne (§ 19a GWB), Google verschiedene wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen zu untersagen.
Die Google Automotive Services sind ein Produktbündel, das Google Fahrzeugherstellern zur Lizenzierung anbietet. Es umfasst den Kartendienst Google Maps, eine Version des App-Stores Google Play und den Sprachassistenten Google Assistant. Google bietet Fahrzeugherstellern die Dienste grundsätzlich nur als Bündel an und macht nach Auffassung des Bundeskartellamts weitere Vorgaben für die Präsentation dieser Dienste im Infotainmentsystem, damit diese bevorzugt genutzt werden. Nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamtes erfüllt Googles Verhalten die Voraussetzungen mehrerer Tatbestände des § 19a Abs. 2 GWB, auf dessen Grundlage das Bundeskartellamt Unternehmen mit marktübergreifender Bedeutung gem. § 19a Abs. 1 GWB verpflichten kann, die jeweiligen Praktiken zu beenden, sofern sie nicht sachlich gerechtfertigt sind.
Nach Mitteilung dieser wettbewerblichen Bedenken durch das Bundeskartellamt unterbreitete Google Lösungsvorschläge. Das Bundeskartellamt wandte sich an Fahrzeughersteller und Wettbewerber Googles, um ihre Einschätzung zu diesen Vorschlägen und weitere Informationen insbesondere zu technischen Fragen zu erhalten.
In dem Kartellverwaltungsverfahren beabsichtigt das Bundeskartellamt des Weiteren, die bisherigen Ermittlungsergebnisse teilweise gegenüber zwei Wettbewerbern Googles offenzulegen, damit diese zu den wettbewerblichen Bedenken Stellung nehmen können. Google beanstandet, dass damit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Googles gegenüber Wettbewerbern offengelegt würden und hat gegen die Offenlegung einzelner, bestimmt bezeichneter Textpassagen Beschwerde eingelegt. Über die Zulässigkeit und Begründetheit dieser Beschwerde hat – vorbehaltlich einer Zuständigkeitsrüge der Beschwerdeführerinnen – der Bundesgerichtshof zu entscheiden.
Bisheriger Prozessverlauf:
Google hat Beschwerde gegen die Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen beim Bundeskartellamt eingelegt. Dieses hat die Beschwerde, nachdem es ihr nicht abgeholfen hat, dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung gemäß § 73 Abs. 5 GWB vorgelegt.
HINWEIS:
Zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Googles kommt möglicherweise ein Ausschluss der Öffentlichkeit, einschließlich der Presse, sowie der beigeladenen Wettbewerber von Google, von wesentlichen Teilen der mündlichen Verhandlung in Betracht, § 172 Nr. 2 GVG. Darüber kann erst in der Verhandlung entschieden werden.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
- 19a GWB
(1) Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass einem Unternehmen, das in erheblichem Umfang auf Märkten im Sinne des § 18 Absatz 3a (Mehrseitigen Märkten und Netzwerken) tätig ist, eine überragende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. …
(2) Das Bundeskartellamt kann im Falle einer Feststellung nach Absatz 1 dem Unternehmen untersagen,
- beim Vermitteln des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten die eigenen Angebote gegenüber denen von Wettbewerbern bevorzugt zu behandeln, insbesondere
- a) die eigenen Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen;
- b) ausschließlich eigene Angebote auf Geräten vorzuinstallieren oder in anderer Weise in Angebote des Unternehmens zu integrieren;
- Maßnahmen zu ergreifen, die andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit auf Beschaffungs- oder Absatzmärkten behindern, wenn die Tätigkeit des Unternehmens für den Zugang zu diesen Märkten Bedeutung hat, insbesondere
- a) Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer ausschließlichen Vorinstallation oder Integration von Angeboten des Unternehmens führen;
…
- die Interoperabilität von Produkten oder Leistungen oder die Portabilität von Daten zu verweigern oder zu erschweren und damit den Wettbewerb zu behindern;
…
Dies gilt nicht, soweit die jeweilige Verhaltensweise sachlich gerechtfertigt ist. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt insoweit dem Unternehmen. …
- 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB
(1) …
(2) An dem Verfahren vor der Kartellbehörde ist oder sind beteiligt:
…
- Personen und Personenvereinigungen, deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden und die die Kartellbehörde auf ihren Antrag zu dem Verfahren beigeladen hat; …
- 56 GWB
(1)Die Kartellbehörde hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Über die Form der Anhörung entscheidet die Kartellbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. …
…
(4) Die Behörde hat die Einsicht in die Unterlagen zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Behörde sowie zur Wahrung des Geheimschutzes oder von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen oder sonstigen schutzwürdigen Interessen des Betroffenen, geboten ist. In Entwürfe zu Entscheidungen, die Arbeiten zu ihrer Vorbereitung und die Dokumente, die Abstimmungen betreffen, wird Akteneinsicht nicht gewährt.
- 57 Abs. 1 GWB
(1) Die Kartellbehörde kann alle Ermittlungen führen und alle Beweise erheben, die erforderlich sind.
- 73 Abs. 5 GWB
(5) Der Bundesgerichtshof entscheidet als Beschwerdegericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten gegen Verfügungen des Bundeskartellamts
- nach § 19a, auch in Verbindung mit §§ 19, 20 und Artikel 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie § 32 Absatz 1, 2 und 3,
- nach den §§ 32a und 32b, soweit diese Vorschriften auf Sachverhalte im Sinne des § 19a angewendet werden,
jeweils einschließlich aller selbständig anfechtbaren Verfahrenshandlungen.
- 172 GVG
Das Gericht kann für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausschließen, wenn
- …
1a. …
- ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden,
- …
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