Der unter anderem für Grundstückskaufverträge zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verhandelt über ein Verfahren, in dem zu klären ist, welche Auswirkungen die Durchführung einer Ankaufsuntersuchung durch den Käufer (sog. Due Diligence) auf die Aufklärungspflichten des Verkäufers einer Immobilie hat.
Sachverhalt:
Die Beklagte zu 1 verkaufte der Klägerin mit notariellem Vertrag vom 25. März 2019 mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex zu einem Kaufpreis von 1.525.000 € unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. In dem Kaufvertrag versicherte die Beklagte zu 1, dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftig fällige Sonderumlage ergebe, mit Ausnahme eines Beschlusses über die Dachsanierung mit wirtschaftlichen Auswirkungen von 5.600 € jährlich für den Käufer. Zudem versicherte die Beklagte zu 1, dass nach ihrer Kenntnis außergewöhnliche, durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckte Kosten im laufenden Wirtschaftsjahr nicht angefallen seien und ihr auch nicht bekannt sei, dass solche Kosten bevorstünden oder weitere Sonderumlagen beschlossen worden seien. Weiter heißt es in dem Kaufvertrag, der Verkäufer habe dem Käufer die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre übergeben und der Käufer habe Kenntnis von dem Inhalt der Unterlagen. Die Klägerin wurde als Eigentümerin der Einheiten in das Grundbuch eingetragen.
Die Beklagte zu 1 hatte der Klägerin vor Vertragsschluss ein Verkaufsexposé zukommen lassen. Diesem war die Tagesordnung der Eigentümerversammlung vom 1. August 2017 beigefügt, die unter anderem die Beauftragung eines Architekturbüros mit der Planung und der Durchführung der Fassadenertüchtigung und Umgestaltung auf zwei Ebenen des Gebäudekomplexes zum Gegenstand hatte. Im Rahmen der Kauvertragsverhandlungen, die auf Seiten der Beklagten zu 1 von dem Geschäftsführer ihrer Komplementärin, dem Beklagten zu 2 geführt wurden, erhielt die Klägerin Zugriff auf einen von der Beklagten zu 1 eingerichteten virtuellen Datenraum, der verschiedene Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthielt. Am Freitag, dem 22. März 2019, stellte die Beklagte das Ergebnisprotokoll der Eigentümerversammlung vom 1. November 2016 in den Datenraum ein. In dieser Versammlung hatten die Eigentümer beschlossen, eine frühere Mehrheitseigentümerin auf Zahlung von 50.000.000 € in Anspruch zu nehmen zur Umsetzung eines im Jahre 2006 gefassten Beschlusses über Umbaumaßnahmen am Gemeinschaftseigentum. Die Erhebung einer Sonderumlage in gleicher Höhe von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten war abgelehnt worden. Um die Erhebung der Sonderumlage durchzusetzen, hatte eine andere Eigentümerin Klage erhoben. Das Verfahren endete im Januar 2020 mit einem Vergleich, demzufolge von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage von zunächst 750.000 € – bei Bedarf bis zu 50.000.000 € – für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum erhoben werden sollte. Auf dieser Grundlage wurde auch die Klägerin in Anspruch genommen. Daraufhin erklärte sie mit Schreiben vom 2. März 2020 die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Bisheriger Prozessverlauf:
Mit der Klage verlangt die Klägerin die Freistellung von den zur Finanzierung des Kaufpreises eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten, hilfsweise die Zahlung von 1.500.000 €, daneben die Zahlung von 184.551,82 € – jeweils Zug um Zug gegen Übereignung der Gewerbeeinheiten und Abtretung der Rückgewähransprüche bezüglich der eingetragenen Grundschulden – sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden und des Annahmeverzugs. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der von dem Bundesgerichtshof zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte zu 1 keinen Anspruch aus § 812 Abs. 1 BGB. Der Klägerin stehe kein Recht zur Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte zu 1 habe in dem notariellen Kaufvertrag zutreffende Erklärungen abgebeben, denn eine Sonderumlage sei bis zum Vertragsschluss nicht beschlossen worden. Ob sich aufgrund der bei Abschluss des Kaufvertrages fehlenden Bestandskraft des die Sonderumlage ablehnenden Beschlusses vom 1. November 2016 eine künftig fällige Sonderumlage hinreichend konkret ergeben habe und die Beklagte zu 1 insoweit objektiv eine falsche Zusicherung abgegeben habe, könne dahinstehen. Denn jedenfalls sei der Tatbestand der arglistigen Täuschung diesbezüglich subjektiv nicht erfüllt, weil nicht feststehe, dass die Beklagte zu 1 von der auf die Erhebung einer Sonderumlage abzielenden Klage Kenntnis gehabt habe.
Die Klägerin habe auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2 BGB, denn die Beklagte zu 1 habe nicht im Widerspruch zu einer bestehenden Aufklärungspflicht wahre Tatsachen unterdrückt. Insbesondere könne die Klägerin der Beklagten zu 1 nicht vorwerfen, dass das Protokoll der Eigentümerversammlung vom 1. November 2016 erst unmittelbar vor dem Notartermin „klammheimlich“ in den Datenraum eingestellt und ihr damit „untergeschoben“ worden sei. Denn die Klägerin habe schon mit dem Verkaufsexposé den Hinweis auf diese Eigentümerversammlung und auf eine anstehende Ertüchtigung der Fassade und Umgestaltung des Gebäudekomplexes auf zwei Ebenen erhalten. Dem sei sie nicht nachgegangen. Zudem müsse sich die Klägerin die von ihr in dem Kaufvertrag abgegebene Bestätigung, die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre erhalten zu haben, entgegenhalten lassen. Es habe in ihrer Verantwortung gelegen, sich über die maßgebliche Beschlusslage der Eigentümergemeinschaft zu informieren. Die Parteien hätten auch keine Frist vereinbart, innerhalb derer Informationen über den Kaufgegenstand in den elektronischen Datenspeicher längstens eingestellt werden konnten. Das Vorbringen der Klägerin, sie sei entgegen der bisherigen Übung nicht auf die am 22. März 2019 erfolgte Zurverfügungstellung weiterer Unterlagen hingewiesen worden, sei zu allgemein gehalten und widersprüchlich.
Gegen den Beklagten zu 2 habe die Klägerin ebenfalls keine Schadensersatzansprüche. Mangels arglistiger Täuschung scheide eine deliktische Haftung nach §§ 823, 826 BGB aus. Für einen Anspruch aus § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 3, § 241 Abs. 2 BGB fehle es an einer Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens.
Vorinstanzen:
LG Hildesheim – Urteil vom 16. April 2021 – 4 O 60/20
OLG Celle – Urteil vom 29. März 2022 – 4 U 50/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
- 123 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB):
(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung […] bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.
(2) …
- 311 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB):
(1) …
(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch
- die Aufnahme von Vertragsverhandlungen
- …
- …
(3) 1Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. 2Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.
- 241 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB):
(1) …
(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.
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