Die Kläger hatten für den 1. Mai 2019, wie bereits im Vorjahr, eine Versammlung angemeldet, deren Auftakt- und Abschlussort der Bahnhofsvorplatz „Am Bahnhof Grunewald“ war. Viele Teilnehmende reisten über den S-Bahnhof an. Die Bundespolizei erließ eine Einrichtungsanordnung, auf deren Grundlage Videoüberwachungstechnik u.a. auf Bahnsteigen, Treppenabgängen und im Empfangsbereich – nicht aber auf dem Bahnhofsvorplatz – installiert wurde. Auf die Kameras wiesen mehrere Schilder in Größe DIN A4 hin. Die Bundespolizei löschte die Videoaufzeichnungen am 15. Mai 2019. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Videoaufzeichnungen gerichtete Klage begründeten die Kläger u.a. damit, dass diese einen ungerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellten. Die Beklagte verweist auf das nach den Erfahrungen des Vorjahres bestehende Bedürfnis, eine Überfüllung des Bahnsteigs und des Personentunnels frühzeitig zu erkennen.
Die 1. Kammer hat die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage der Videoaufzeichnung und -speicherung sei § 27 Satz 1 Nr. 2 Bundespolizeigesetz (BPolG). Danach könne die Bundespolizei selbsttätige Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte einsetzen, um Gefahren für Eisenbahnanlagen und für dort befindliche Personen oder Sachen zu erkennen. Das Versammlungsrecht stünde der Anwendbarkeit der Norm nicht entgegen. Das Polizeirecht diene der Bekämpfung von Gefahren, die ihre Ursache nicht spezifisch in der Versammlung und deren Ablauf hätten. Ziel der Videoaufzeichnung sei nicht die Verfolgung des Anreisegeschehens der Versammlungsteilnehmenden gewesen, sondern die Bekämpfung von Gefahren, die sich aus der räumlich beengten Bahnhofssituation ergäben. Die Versammlungsfreiheit gebiete keine besondere versammlungsrechtliche Regelung für jeden Eingriff unabhängig von seiner Art und seinem Gewicht. Eine solche sei vielmehr nur bei Eingriffen in den Kernbereich der Versammlungsfreiheit erforderlich. Die formellen und materiellen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage seien erfüllt gewesen, insb. sei die Videoüberwachung erkennbar und die 30-tägige Speicherfrist gewahrt worden. Die Videoüberwachung sei zudem ermessensfehlerfrei – insb. verhältnismäßig – gewesen. Die Kumulation der engen räumlichen Situation am S-Bahnhof Grunewald und der zu erwartenden Vielzahl von Nutzerinnen und Nutzern des Bahnhofs hätte – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Loveparade in Duisburg im Jahr 2010 – eine Gefahr im Sinne der Rechtsgrundlage begründet.
Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gestellt werden.
Urteil der 1. Kammer vom 22. August 2022 (VG 1 K 405/20)
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