Vor zwei Monaten hat Deutschland ein neues Parlament gewählt. Das Ergebnis waren unklare Mehrheitsverhältnisse und eine chaotische Regierungsbildung. Die Parteien haben sich noch immer nicht auf ein Regierungsprogramm einigen können und noch stehen baldige Neuwahlen im Raum. Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Was bedeutet das für Angela Merkel, ihre CDU und den Rest der Republik? Wir klären auf, wie der Weg von Jamaika zu den anstehenden GroKo-Verhandlungen verlaufen ist und wie es jetzt mit Deutschland weiter geht.
Jamaika – eine gewagte Option
Die Bundestagswahl am 24. September hatte keine klare Mehrheit im Parlament gebracht. Für die Traditions-Koalition Schwarz-Gelb aus Union und FDP reicht es nicht, Rot-Grün ist weit von einer eigenen Mehrheit entfernt. Eine Neuauflage der Großen Koalition hatte die SPD bereits vor der Wahl abgelehnt und führende Politiker der Partei hatten die Ablehnung nach der Wahl noch einmal bekräftigt. Mit diesen Voraussetzungen wagte die CDU, was sie früher strikt abgelehnt hatte: Experimente. Am 18. Oktober beginnen Güne, CDU, CSU und FDP die Verhandlungen für ein Regierungsbündnis, das es auf Bundesebene bisher nicht gegeben hat. Die Bedingungen sind von Anfang an schwierig, Uneinigkeit herrscht so ziemlich auf allen Feldern. Vor allem Güne und FDP zanken sich und tragen ihren Streit in die Öffentlichkeit. Streitthemen sind vor allem der Klimaschutz und die Flüchtlingsproblematik. Beides sind Punkte, in denen die Grünen Maximalpositionen formuliert. Eine Regierung, an der sie beteiligt sind, musste den Kohleausstieg besiegeln und durfte nicht am Familiennachzug für anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge rütteln. Beim Thema Flüchtlinge stellten vor allem CSU und Freie Demokraten Bedingungen, die für die Grünen nicht akzeptabel schienen. Auch bei der Frage nach dem Kohleausstieg zum Schutz des Weltklimas hatten Union und Freie Demokraten andere Vorstellungen. Man fürchtet um Arbeitsplätze und unbezahlbare Strompreise, wenn der Ausstieg zu schnell geht und keine Alternativen bereitstehen. Zwar war man sich grundsätzlich einig, dass der Klimaschutz ein wichtiges Anliegen ist, die ökonomischen Kosten sollten aber in Grenzen gehalten werden. Die Verhandlungen werden zu einer Zerreißprobe für alle Beteiligten.
Der große Knall: Lindner macht Schluss
Während sich die Union um Angela Merkel in den Verhandlungen jedoch bewegte und zum Beispiel bei den Themen Flüchtlinge und Klima auf die Grünen zuging, versteinerte sich die Verhandlungsgruppe um den liberalen Parteichef Christian Lindner in ihren Positionen. Als die bayerische CSU mit Horst Seehofer dann ein gewisses Entgegenkommen beim Thema Familiennachzug signalisierte, besetzte plötzlich Lindner die rechtskonservative Maximalposition. Dass die Verhandlungen von Beginn an in keinem guten Licht standen, war annen Sondierern bekannt. Dass die Liberalen so wenig kompromissbereit waren hatte allerdings niemand erwartet. Dazu kam dann aber noch ein anderes Problem. Nach 4 Jahren Opposition außerhalb der Parlamentsbänke war die Partei inhaltlich sie strukturell nicht ausreichend auf Regierungsverhandlungen vorbereitet. Selbst innerhalb der Verhandlungsgruppe herrschte Uneinigkeit bei wichtigen Themen. Unter diesen Sondierungsbedingungen, ohne sichtbaren Fortschritt auf dem Weg nach Jamaika, zog Christian Lindner dann am 20. November einen Schlussstrich und setzte den Sondierungen ein jähes Ende. Was am Ende den Ausschlag gab, dass die Lieberalen die Verhandlungen verließen, darüber kann nur spekuliert werden. Sicher ist nur, dass das komplizierte Wahlergebnis nun nur noch wenige realistische Optionen zur Regierungsbildung lässt.
Bewegung in der SPD
Als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten noch lange an seinem Nein zu einer Neuauflage der Großen Koalition blieb, bewegten sich derweil zahlreiche führende Parteipolitiker auf die Union zu. Als Verursacher von Neuwahlen dazustehen und die Möglichkeit des Regierens auszuschlagen schien immer weniger Sozis eine gute Idee zu sein. War die Große Koalition der vergangenen vier Jahre auch nicht immer angenehm und beschuldigen auch viele Angela Merkel, das schlechte Abschneiden der Partei bei der Bundestagswahl mitverursacht zu haben, so ist man sich och der Verantwortung bewusst, die man als Volkspartei gegenüber dem Wähler hat. Unter dem Druck führender Genossen knickt denn auch Martin Schulz schnell ein und formuliert Bedingungen, unter denen eine Große Koalition doch noch möglich scheint. Für die Union heißt es derweil zurück zum alten Dogma: keine Experimente! Man bleibt Statt Jamaika zu versuchen, bleibt jetzt nur noch der Ausweg Rot-Grün. Für Angela Merkel, die Überraschungen nicht besonders mag, ist das wahrscheinlich die angenehmere Option. Die Sozialdemokraten dagegen werden Forderungen stellen. Zu schlecht sind die Erinnerungen an die vergangenen beiden Großen Koalitionen, die Merkel als Siegerin dastehen ließ und der Partei von Willy Brandt und Gerhard Schröder nach jeder Runde ein schlechteres Wahlergebnis bescherte. Erste Forderungen werden bereits laut. GroKo gibt es nicht ohne Bürgerversicherung, was eine Abschaffung der privaten Krankenversicherungen bedeuten würde. Auch die Rente ist für Martin Schulz und sein Team ein rotes Tuch. Im Wahlkampf hatten sie ein Rentenpaket entwickelt, das sie jetzt umgesetzt sehen wollen.
GroKo rückt näher
Doch auch wenn die Sozialdemokraten schon fleißig Maximalpositionen formulieren, immer mehr Genossen zeigen sich kompromissbereit. Man will, so der Tenor, die Verantwortung übernehmen, die vom Wähler übertragen wurde. Ende November trafen sich die Parteispitzen im Bundespräsidialamt, um sich von Frank Walter Steinmeier belehren zu lassen, wie diese Verantwortung aussieht. Neuwahlen sollten vermieden werden, sofern das irgendwie möglich ist. Die Bundesrepublik befindet sich derzeit in einer Situation, die es seit ihrer Gründung nicht gegeben hat. Der Bundespräsident hat die Macht, beim Scheitern von Koalitionsverhandlungen das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszulösen oder eine Minderheitsregierung zu tolerieren. Mit dieser letzten Option wären plötzlich die Grünen wieder im Boot.
Von Jamaika nach Kenia
Sollten sich die Sozialdemokraten einer Koalition mit der Union verweigern, bliebe noch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung. Union und die Grünen würden in diesem Szenario eine Regierung bilden, die Sozialdemokraten würden diese tolerieren. Als ersten Schritt würden die Partner dann gemeinsam Angela Merkel zur Bundeskanzlerin wählen. Doch Stimmen aus dem Willy-Brandt-Haus bringen noch eine weitere Option ins Spiel. Damit ihre Partei nicht wieder in einer Großen Koalition zerrieben wird, könnte man zusammen mit Union und Grünen eine Regierung bilden. Dieses Kenia-Modell findet vor allem in der SPD-Linken einigen Zuspruch. Ob es soweit kommt, bleibt vorerst eine offene Frage. Jetzt beginnen erst einmal die Gespräche über eine Neuauflage der GroKo.
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