Was Vorstandsmitglieder börsennotierter Unternehmen beachten sollten, wenn sie ihre kapitalmarktrechtlichen Pflichten an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegieren.
Dringend, aber nicht wichtig: Solche Aufgaben sollen Entscheider nach dem Eisenhower-Prinzip an Mitarbeiter delegieren. Kapitalmarktrechtliche Pflichten dürften vermutlich nicht in dieses Raster passen. Denn wichtig sind solche Pflichten für Vorstandsmitglieder börsennotierter Unternehmen allemal. Sonst müsste ein Verstoß auch kein Bußgeld der BaFin nach sich ziehen. Das kommt zwar immer wieder vor, wäre aber vermeidbar – mit einer guten Compliance. Das BaFinJournal erklärt, welche kapitalmarktrechtlichen Pflichten bestehen, wie hoch die Bußgelder ausfallen, wer die Beauftragten des Vorstands sind und vor allem: wie der Vorstand richtig delegiert, um nicht selbst zu haften.
Welche kapitalmarktrechtlichen Pflichten gibt es?
Börsennotierte Unternehmen müssen eine Vielzahl kapitalmarktrechtlicher Pflichten erfüllen. Sie ergeben sich beispielsweise aus dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG), der Marktmissbrauchsverordnung und der zweiten europäischen Finanzmarktrichtlinie (Markets in Financial Instruments Directive II – MiFID II).
Ein Beispiel: Die A Beteiligungsgesellschaft erwirbt 8,5 Prozent der Anteile der C AG und teilt dieser den Erwerb der Anteile innerhalb eines Handelstags mit. Die C AG ist im MDax gelistet. Gemäß § 40 Absatz 1 Satz 1 WpHG ist der Vorstand der C AG verpflichtet, diese Information „unverzüglich“, jedoch spätestens innerhalb von drei Handelstagen zu veröffentlichen. Doch der zuständige Mitarbeiter ist erkrankt und so kommt die C AG ihrer Verpflichtung erst nach acht Handelstagen nach. Es stellt sich heraus, dass Vertretungsregelungen in der laut Geschäftsverteilungsplan zuständigen Abteilung „Investor Relations“ nicht eindeutig waren – mit der Folge, dass niemand rechtzeitig handelte.
Wer genau muss die Pflichten erfüllen?
Die Pflichten richten sich an die juristische Person selbst. Im zuvor genannten Beispiel ist das die C AG. Da eine Aktiengesellschaft (AG) zwar über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, de facto aber nicht selbst handlungsfähig ist, legt § 9 Absatz 1 Nr. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) den Vorstand der AG als deren „gesetzlichen Vertreter“ fest. Somit ist der Vorstand dafür verantwortlich, dass die AG ihre kapitalmarktrechtlichen Pflichten erfüllt.
Haben Vorstandsmitglieder und Unternehmen den Erlass eines Bußgeldes zu befürchten?
Ja. Das erste und zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz haben den Bußgeldrahmen für WpHG-Ordnungswidrigkeiten seit 2016 erheblich ausgeweitet.
Das zeigen auch die Zahlen: Im Jahr 2016 schloss die Wertpapieraufsicht der BaFin 106 Verfahren mit einem Bußgeld ab und setzte dabei Geldbußen in Höhe von insgesamt 2,57 Millionen Euro fest. Im Jahr 2020 summierte sich die Gesamthöhe der Geldbußen der BaFin auf einen Betrag von 8,5 Millionen Euro – bei 172 Verfahren, die mit einem Bußgeld endeten (siehe Abbildung „Mit Geldbuße abgeschlossene Verfahren 2020“).
Während sich die Ahndungsquote 2019 auf 24 Prozent belief, erhöhte sie sich 2020 auf 59 Prozent. Hintergrund: Nachdem die BaFin 2019 die Zahl der offenen Verfahren von 682 auf 517 reduzieren konnte, indem sie Ordnungsverstöße mit geringem Unrechtsgehalt aus Opportunitätsgründen einstellte, konzentrierte sie sich 2020 darauf, ahndungsrelevante Sachverhalte zu verfolgen.
Die höchste festgesetzte Einzelgeldbuße 2020 betrug 1,275 Millionen Euro und betraf einen Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizität. Seit Inkrafttreten der Neuregelungen durch das erste und zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz macht die BaFin auf ihrer Webseite Geldbußen bekannt, die sie wegen Verstößen gegen Verbote und Gebote im Bereich der Wertpapieraufsicht erlassen hat. Anfang 2021 gab es noch 332 offene Verfahren, die in der Zukunft ebenfalls mit einer Geldbuße enden könnten.
Abbildung: Mit Geldbuße abgeschlossene Verfahren 2020
(c) BaFin
Muss ein Vorstandsmitglied alle Pflichten selbst erfüllen?
Nein, der Vorstand kann seine kapitalmarktrechtlichen Pflichten an einen Vertreter delegieren (siehe Infokasten „Gesetzlicher Vertreter versus gewillkürter Vertreter“). Juristisch ausgedrückt: Gewillkürte Vertreter können anstelle des eigentlichen Normadressaten die zu erfüllenden Pflichten selbst wahrnehmen (siehe Infokasten „§ 9 OWiG: Handeln für einen anderen“).
Definition:„Gesetzlicher Vertreter“ versus „gewillkürter Vertreter“
Mit dem „gesetzlichen Vertreter“ eines Unternehmens ist der Vorstand gemeint, wohingegen es sich beim „gewillkürten Vertreter“ in der Regel um den beauftragten Mitarbeiter handelt – auch „Beauftragter“ oder „Substitut“ genannt.
Das Gesetz nennt Vertretungskonstellationen, die zu einem Pflichtenübergang vom gesetzlichen Vertreter des Unternehmens auf einen Vertreter führen. Tritt der Vertreter in die Pflichten des Vorstands ein, spricht man von einem Übergang der Normadressateneigenschaft. Somit wird der Beauftragte selbst zum Normadressaten, also zum Adressaten der gesetzlichen Bestimmung.
Auf einen Blick:§ 9 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG): Handeln für einen anderen
(1) Handelt jemand
1. als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, so ist ein Gesetz (…) auch auf den Vertreter anzuwenden (…).
(2) Ist jemand von dem Inhaber eines Betriebes oder einem sonst dazu Befugten
1. beauftragt, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, oder
2. ausdrücklich beauftragt, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, (…) so ist ein Gesetz, auch auf den Beauftragten anzuwenden (…).
Wann sind Betriebs- und Teilbetriebsleiter Vertreter?
Betriebs- oder Teilbetriebsleiter sind Vertreter und damit Normadressaten, wenn der Inhaber des Betriebs sie ganz oder zum Teil mit der Leitung des Betriebs betraut hat. Ist eine juristische Person Inhaber des Betriebs, so handelt sie durch ihre Organe – im Fall einer AG also durch den Vorstand. Es reicht aus, wenn ein Beauftragungsverhältnis faktisch vorliegt. Ob die Beauftragung zum Beispiel schriftlich fixiert wurde, die Rechtshandlung also wirksam ist, ist unerheblich.
Der Betriebsleiter kann aber nur Beauftragter und Normadressat sein, wenn er die Aufgaben des Betriebsinhabers selbstständig und eigenverantwortlich wahrnimmt. Von einer solchen Handlungsautonomie ist auszugehen, wenn er von sich aus und ohne Nachfrage bei Vorgesetzten die Maßnahmen ergreifen kann, die erforderlich sind, um Normverstöße oder Zuwiderhandlungen zu vermeiden.
Ein Teilbetriebsleiter muss eine Abteilung des Betriebs führen, die ein gewisses Maß an Selbstständigkeit und Bedeutung besitzt. In Bezug auf kapitalmarktrechtliche Pflichten kommt beispielsweise die Leiterin der Compliance-Abteilung in Betracht.
Wann ist jemand „sonstiger Beauftragter“ des Vorstands?
Den „sonstigen Beauftragten“ muss der Vorstand ausdrücklich beauftragen und ihm eine klare Vorstellung über Art und Umfang der ihm übertragenen Aufgabe vermitteln. Hintergrund: Der „sonstige Beauftragte“ soll nicht unbeabsichtigt in die Pflichtenstellung des Betriebsinhabers „hineinrutschen“ und bei Normverstößen versehentlich zum Haftungssubjekt werden. Wie ein Betriebsleiter muss auch der „sonstige Beauftragte“ über Handlungsautonomie verfügen, wenn er die übertragenen Aufgaben wahrnimmt. Der Vorstand kann seine Pflichten auch auf mehrere Mitarbeiter verteilen.
Wer haftet, wenn etwas schiefgeht?
§ 9 Absatz 2 OWiG macht die Substitute lediglich zu weiteren Normadressaten. Das bedeutet: Beim Auftreten einer Zuwiderhandlung durch den Vertreter kann die BaFin weiterhin auch gegen den Vorstand vorgehen. Erst recht bleibt der Vorstand natürlich alleinverantwortlich, wenn er seine Pflichten nicht gesetzeskonform delegiert hat.
Die Beauftragung soll aber gerade dazu dienen, den gesetzlichen Vertreter des Betriebsinhabers zu entlasten. Von ihm kann daher nicht verlangt werden, jedwede Zuwiderhandlung durch den Beauftragten zu verhindern. Nimmt er in angemessener Art und Weise notwendige Aufsichtsmaßnahmen vor, trifft ihn bei einer Zuwiderhandlung des Vertreters in der Regel kein Verschulden. Somit scheidet eine Ahndung gegenüber dem Vorstand dann aus.
Bei einem Delegationsverschulden durch den Vorstand oder einer Zuwiderhandlung durch das Substitut kann die BaFin aber eine Verbandsgeldbuße nach § 30 Absatz 4 OWiG festsetzen. Die Geldbuße wird dann gegen das Unternehmen selbst festgesetzt. In diesem Falle wird dann von einer Verfolgung der Leitungspersonen abgesehen.
Wie kann sich der Vorstand bei einer Delegation von Pflichten vor einer persönlichen Haftung schützen?
Eine Haftung scheidet in Anlehnung an § 130 OWiG aus, wenn eine Zuwiderhandlung zwar begangen wurde, das Unternehmen diese durch gehörige Aufsicht aber nicht hätte verhindern oder erschweren können. Denn keine noch so perfekte Compliance-Organisation kann verhindern, dass Beauftragte oder andere Mitarbeiter jemals gegen geltendes Recht verstoßen. Kommt es zu einem Verstoß, muss das Unternehmen darlegen, dass es die richtigen Maßnahmen ergriffen hat und dass das verbotene Verhalten des Beauftragten deshalb dem Vorstand nicht anzulasten ist.
Gelingt es dem Vorstand, sich in fünf Stufen zu entlasten, muss er keine Geldbuße zahlen. Auf Stufe 1 muss er Mitarbeiter und Aufsichtspersonen sorgfältig auswählen. Zweitens ist er verpflichtet, eine sachgerechte Organisation und Aufgabenverteilung vorzunehmen. Hieraus ergibt sich auch die Pflicht, für Vertretungspläne zu sorgen, um krankheits- oder urlaubsbedingte Abwesenheiten auffangen zu können. Die Mitarbeiter sind drittens angemessen über ihre Aufgaben und Pflichten zu instruieren und aufzuklären. Viertens: Der Vorstand muss den Mitarbeiter ausreichend überwachen und kontrollieren – beispielsweise durch Stichproben. Unerfahrene oder unzuverlässige Mitarbeiter sind intensiver zu beaufsichtigen als solche, die ihre Zuverlässigkeit bereits unter Beweis gestellt haben. Auf Stufe 5 besteht schließlich die Verpflichtung, gegen Verstöße einzuschreiten.
Angenommen der Vorstand kann dies nicht darlegen, gibt es dennoch die Möglichkeit einer Bußgeldmilderung?
Es liegt im Ermessen der Verfolgungsbehörden, Ordnungswidrigkeitenverfahren einzustellen. Die BaFin berücksichtigt dabei etwa, ob das betroffene Unternehmen seine Compliance-Organisation seit dem letzten Verstoß verbessert hat und von sich aus seine betriebsinternen Abläufe so verändert hat, dass es vergleichbare Normverletzungen künftig jedenfalls deutlich erschwert. Wenn nach pflichtgemäßem Ermessen keine Einstellung des Verfahrens in Betracht kommt, kann die BaFin Fortschritte beim Aufbau oder der Verbesserung der Compliance-Organisation zumindest bußgeldmindernd berücksichtigen. Die Höhe der Geldbuße muss aber so bemessen sein, dass sie dem normwidrig handelnden Unternehmen eine Mahnung ist.
Gibt es eine Vergünstigung, wenn man den Verstoß selbst bei der BaFin anzeigt?
Bei einer Selbstanzeige kann die Geldbuße um bis zu 30 Prozent reduziert werden. Dies setzt voraus, dass der BaFin der angezeigte Sachverhalt bis dato nicht bekannt war.
Autorin/Autor
Dr. Julia von Buttlar
Daniel Diesinger
BaFin-Referat für Ordnungswidrigkeitenverfahren
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