Wirtschaftskriminalität in Unternehmen – Ursachen, Motive und Risikofaktoren
Wer denkt, dass Diebe, Banküberfälle oder ähnliches für Firmen große Relevanz haben, täuscht sich, die meisten Straftaten werden von Leuten aus dem Näheverhältnis begangen.
Korruption, Produkt- und Markenpiraterie, Betrug, Unterschlagung oder Spionage – Wirtschaftskriminalität in Unternehmen kann viele Formen annehmen. Insgesamt ist etwa die Hälfte aller deutschen Unternehmen betroffen, das ergab eine Studie im Auftrag von PriceWaterhouseCoopers. Der jährliche Gesamtschaden beträgt demnach rund 6 Milliarden Euro, wobei die individuelle Höhe des Schadens erheblich von der Größe des Unternehmens abhängt. Überdies wird laut PriceWaterhouseCoopers nur etwa jeder dritte Täter angezeigt, in Berlin und Brandenburg sind es noch weniger. Das aktuelle „Kriminalitätsbarometer Berlin Brandenburg“ zeigt, dass die Bereitschaft von Unternehmen, Straftaten überhaupt anzuzeigen, insgesamt zwar leicht ansteigt. Neben Vandalismus und Einbruchdiebstahl machen Wirtschaftsdelikte wie Korruption, Wettbewerbsverstöße und Spionage aber nur etwa 10 bis 15 Prozent der angezeigten Straftaten in der Region aus. Laut dem Berliner Tagesspiegel gehen Experten von einer 10-fach höheren Dunkelziffer in diesem Bereich aus. Knuth Thiel, der für das Kriminalitätsbarometer zuständige Mitarbeiter der IHK Frankfurt/Oder, vermutet, dass neben versicherungstechnischen Gründen auch mangelndes Vertrauen in die Kompetenz von Polizei und Strafverfolgungsbehörden die Unternehmen davon abhält, derartige Straftaten anzuzeigen. Tatsächlich wird nur etwa die Hälfte der angezeigten Täter tatsächlich verurteilt, denn oft ist es schwierig, den Tätern die Straftaten auch eindeutig nachzuweisen.
Grund genug also, sich die Ursachen von Wirtschaftskriminalität in Unternehmen sowie die Motive der Täter einmal genauer anzuschauen. Denn es gibt einige Besonderheiten dieser Gruppe von Kriminellen, die Unternehmen helfen können, das Risiko von Wirtschaftsdelikten zumindest unwahrscheinlicher zu machen.
Wer (unzufriedene) Mitarbeiter hat, braucht keine Feinde
Dass Unternehmen häufig von einer Anzeige absehen, liegt auch in der Tatsache begründet, dass mindestens jeder zweite Täter aus den eigenen Reihen kommt. Um das Ansehen des Unternehmens nach außen nicht zu beschädigen, werden derartige Vorfälle lieber intern geregelt – insbesondere wenn die Täter eine hohe Position im Unternehmen hatten. Denn die Täter sind durchschnittlich schon seit acht Jahren Mitarbeiter des Unternehmens, bevor sie zu Tätern werden. Externe Täter stehen den betroffenen Unternehmen oft als Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartner nahe. Nur selten werden Wirtschaftsdelikte in Unternehmen von Fremden verübt. Tatsächlich ist der typische Wirtschaftsstraftäter der „normale“ sozial angepasste Mitarbeiter und somit im Vorfeld kaum zu identifizieren.
Viele Täter handeln nicht allein, häufig gibt es mindestens Mitwisser. Die überwiegende Mehrheit der Täter ist männlich und zwischen 30 und 50 Jahren alt. Immerhin ein Fünftel davon sind so genannte Amtsträger. Viele haben Eigenschaften, die Unternehmen an Mitarbeitern schätzen: entscheidungsfreudig, karrierebewusst, erfolgsorientiert und extrovertiert – man spricht auch von so genannten „Risk Seekern“. Neben den unternehmerisch aktiven Tätern gibt es noch die Gruppe der sich unverstanden fühlenden Kreativen sowie angeblich uneigennützig handelnde Täter. Diese erkennen sich selbst nur bedingt als Straftäter und setzen sogar bisweilen eigene Gelder begleitend zu einer Straftat ein.
Gelegenheit allein macht noch keine Diebe
Ein Mangel an Kontrollen ist selten der ausschlaggebende Grund für Straftaten von Mitarbeitern – ein Zuviel an Kontrollen hingegen kann Misstrauen im Unternehmensklima hervorrufen und so die Bereitschaft der Mitarbeiter für kriminelles Verhalten gegenüber dem eigenen Unternehmen befördern. Das im internationalen Vergleich hoch entwickelte Kontrollumfeld deutscher Unternehmen lässt hingegen präventive Maßnahmen wie etwa Compliance-Programme in den Sicherheitskonzepten oft vermissen, nicht nur weil solche Programme kurzfristig zu Wettbewerbsnachteilen führen können, sondern auch, weil in den Führungsetagen schlicht die entsprechenden Kenntnisse fehlen.
Besonders im mittleren und gehobenen Management sind individuelle Gründe und die Unternehmenskultur weit wichtigere Ursachen für unternehmensschädigendes Verhalten als die sprichwörtliche Gelegenheit, die zwar oft hinzukommt, aber eben nicht ausschlaggebend ist.
Geld allein macht nicht glücklich
Eine psychologische Studie der Universität Pforzheim enthält überraschende Erkenntnisse zu den Motiven der Täter. Anders als man erwarten könnte, ist Habgier keinesfalls das ausschlaggebende Moment, die persönliche Bereicherung oft nicht das eigentliche Ziel der Täter. Zwar spielen finanzielle Anreize durchaus eine Rolle, ebenso wie fehlendes Unrechtsbewusstsein und Verführbarkeit bei den Tätern. Die vergleichsweise geringe Bedeutung des Geldvorteils zeigt sich auch in der Verwendung der „Beute“. Die Vernachlässigung der Anfangsmotivation wie etwa Lücken in der Altersvorsorge zugunsten von schicken Autos oder Fernreisen deutet bereits an, was sich an der Tatsache, dass fast alle männlichen Täter zunächst in Modelleisenbahnen und Modellflugzeuge „investieren“, ablesen lässt: Materielle Ziele sind nachrangig. Die Täter kommen aus allen Berufs- und Gehaltsgruppen, und sie suchen vielmehr Macht und Unabhängigkeit, Anerkennung und Erfolgserlebnisse. Werden diese Ziele auf legalem Weg nicht erreicht und dann womöglich mit Hilfe des Zufalls erste Erfolge auf illegalen Wegen erreicht, gibt es häufig kein Zurück mehr. Der „Point of no return“ ist erreicht, die Menschen finden nicht mehr zurück aus der Illegalität.
Anonymität und eine hohe Fluktuation unter den Mitarbeitern eines Unternehmens fördern die Bereitschaft zu unternehmensschädigendem Verhalten, ebenso wie als mangelhaft empfundene Fairness und Verteilungsungerechtigkeit. Kommen berufliche Enttäuschungen hinzu oder können Menschen ihre eigenen Vorstellungen hinsichtlich der Unternehmensziele nicht einbringen, steigt die Wahrscheinlichkeit für Wirtschaftsdelikte. Auch Zeitdruck ist ein Faktor, der Wirtschaftsstraftaten begünstigt. Besonders in Zeiten struktureller Veränderungen wie Fusionen, Übernahmen und Outsourcing sind Unternehmen gefährdet, denn dann treffen Druck und Stress bei den Mitarbeitern auf vernachlässigte Sicherheitsmaßnahmen bei den Unternehmen. Ärger und Frustration spielen hier eine größere Rolle als die Sorge, den Arbeitsplatz zu verlieren. Nur 6 Prozent der Taten resultieren aus erwarteten Entlassungen.
Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus
Wünsche nach Macht und Luxus können sich als Habgier mit einer aktiven Verfolgung dieser Ziele äußern. Frustration, berufliche Enttäuschung und mangelnde soziale Anerkennung führen leicht zu einer latenten Suche nach persönlichen Vorteilen. Eine gewisse Naivität begünstigt bei Zusammentreffen mit einer zufälligen Gelegenheit die Rechtfertigung der Tat als Existenzsicherung. Immer aber sind es mehrere Faktoren, die zusammenwirken, und an dieser Stelle können Unternehmen ansetzen.
Denn je mehr sich Menschen „ihrem“ Unternehmen auch verbunden fühlen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Wissen über Schwächen und Lücken im Sicherheitssystem ausnutzen. Kontinuität ist ein wichtiger Faktor. So sind langjährige Mitarbeiter seltener unter den Tätern zu finden, hier steht die Loyalität zum Unternehmen im Vordergrund.
Gelegenheiten wird es immer geben, denn vollständige Kontrolle ist eine Illusion. Und je höher die Position, desto mehr Bewegungsspielraum benötigt ein Mitarbeiter. Scharfe Kontrollen fördern zudem die Bereitschaft, kriminelle Handlungen zu begehen beziehungsweise zu decken und zu verschleiern. Der „sportliche“ Anreiz, Lücken zu suchen, steigt – das eher unbewusst über die kriminelle Handlung angestrebte Erfolgserlebnis wird noch erstrebenswerter. Persönlichen Merkmale und individuellen Ursachen der Täter können von Unternehmen kaum beeinflusst werden, die Bindung an und das Zusammengehörigkeitsgefühl zum Unternehmen hingegen schon. Geld ist nicht alles und nur vordergründig geht es im Arbeitsleben um Geld. Natürlich ist die Sicherung der eigenen Existenz eine grundlegende Motivation. Ist diese aber gegeben, dann arbeiten Menschen nicht zuletzt auch wegen sozialer Anerkennung und um Erfolge zu erleben. Zahlreiche Untersuchungen zur Arbeitszufriedenheit zeigen, dass soziale Kontakte, Wertschätzung und Selbstverwirklichung eine größere Rolle spielen als die Höhe des Gehalts.
Eine Unternehmenskultur, die von Wertschätzung, Transparenz und Vertrauen sowohl gegenüber Mitarbeitern als auch Kunden und Geschäftspartnern geprägt ist, ist somit der beste Schutz gegen Kriminalität aus den eigenen Reihen. Ergänzend zu nicht überzogenen Kontrollen sollte sie ein wesentlicher Bestandteil von Sicherheitskonzepten in Unternehmen sein. Eine ausgewogene Balance zwischen Kontrolle und Prävention führt zu den besten Ergebnisse. Zudem unterstützt eine Unternehmenskultur, die ein gemeinsames Wertesystem, eine Unternehmensethik, beinhaltet, in der sich alle aufgehoben fühlen, die informationelle Selbstkontrolle im Unternehmen, die so viel effizienter ist als Kontrolle „von oben“. Denn Menschen handeln häufig nicht nach reinen Kosten-Nutzen-Überlegungen. Es sind nicht die drohenden Sanktionen, die die meisten Menschen davon abhalten Straftaten zu begehen, sondern die Tatsache, dass sie es nicht anständig finden.
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