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Zins-Urteil aus Dresden aus Sicht der Verbraucherzentrale

qimono (CC0), Pixabay
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Viele Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken und private Banken haben früher langfristige Sparverträge verkauft. In den 1990er und 2000er Jahren waren die allgemeinen Zinsen hoch – weil das aber nicht so geblieben ist, haben die Kreditinstitute die Sparzinsen der Verträge regelmäßig nach unten angepasst, in manchen Fällen auf inzwischen bis zu 0,01 bzw. 0,001 Prozent. Ihre Begründung: In den Verträgen stehe eine Klausel, die ihnen das erlaube. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen seit 2004 aber entschieden, dass die Geldinstitute nicht einseitig und nach eigenen Maßstäben die Zinsen ändern dürfen. Betroffenen können sich mit einem Musterbrief gegen falsche Zinsberechnungen wehren.

Die Verbraucherzentrale Sachsen hat gegen einige Sparkassen, die sich weigerten, Zinsen neu zu berechnen und nachzuzahlen, eine Reihe Musterklagen gestartet. Und in einem ersten Urteil hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden am 22.04.2020 im Wesentlichen die Ansicht der Verbraucherzentrale bestätigt (Az 5 MK 1/19 n.rk). Auch in seinem zweiten Urteil vom 17.06.2020 (Az 5 MK 1/20 n.rk.) bezüglich der Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Zwickau hat das OLG Dresden an seiner Rechtsauffassung festgehalten. Die streitige Auseinandersetzung wird vor dem Bundesgerichtshof fortgeführt, bei dem unter dem Az XI ZR 234/20 bereits die Revision bzgl. des Verfahrens gegen die Stadt-und Kreissparkasse Leipzig anhängig ist.

Zusammengefasst:

  • Das Gericht geht davon aus, dass die verwendete Zinsanpassungsklausel unwirksam ist.
  • Dadurch entsteht eine Lücke: Es ist nicht geklärt, nach welchen Regeln Zinsen angepasst werden dürfen.
  • Wie die Zinsanpassung seit Vertragsbeginn hätte erfolgen müssen, muss für die Verträge nachträglich von beiden Parteien vereinbart werden. Allgemeinverbindlich hat das Gericht das leider nicht definiert.
  • Das Gericht hält die von den Verbraucherzentralen verwendeten Parameter der Zinsnachberechnung allerdings für „begründet“, „geeignet“ und „grundsätzlich erfüllt“. Demnach sind als Vergleichsmaßstab ein langfristiger Referenzzins und die relative Zinsanpassung anzuwenden.

Außerdem wurde die Auffassung der Verbraucherzentralen bestätigt, dass die Verjährung erst mit der Beendigung des Sparvertrages beginnt. Das hat zur Folge, dass die Zinsneuberechnung bis zum Vertragsbeginn zurückgehen muss. Für Verbraucher sind damit oft Tausende Euro nachträgliche Verzinsung drin.

Inzwischen liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor und die Argumente der Richter können sich auf ähnliche Verträge zahlreicher anderer Geldinstitute auswirken (die Verbraucherzentralen kennen bisher mehr als 140 Geldinstitute, die ähnliche Verträge abgeschlossen haben). Darum stellen wir hier einige wichtige Punkte aus dem Urteil vor und geben unsere Einschätzung dazu.

Die Argumentationen des Gerichts im Einzelnen

Das Gericht äußert sich zu etlichen, den Verbraucherzentralen bekannten Äußerungen von Sparkassen sowie zu weiteren, wichtigen Fragen. Das vollständige Urteil vom 22.04.2020 können Sie übrigens ebenfalls bei uns herunterladen.

 

Ein Überblick:


Geldinstitute behaupten, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in den 1990er Jahren noch keine Urteile bekannt waren und sie die Zinsanpassungsklausel gar nicht anders formulieren konnten oder mussten.

Dazu sagt das OLG Dresden:

„Soweit die Beklagte auf die historische Entwicklung und damit letztlich darauf abstellt, dass zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Verträge die Unwirksamkeit der Zinsanpassungsklausel noch nicht bekannt gewesen sei, verkennt sie, dass sich nicht die Rechtslage geändert hat, sondern lediglich deren, für die Beklagte allerdings evident wirtschaftlich nachteilige, Konkretisierung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfolgt ist. Diese betrifft auch kein zum Zeitpunkt der Vereinbarungen nicht geltendes Recht, zumal der Inhalt von § 308 Nr. 4 BGB dem Inhalt von § 10 Nr. 4 AGBG entspricht. Die der Vereinbarung einer Klausel nachfolgende Erkenntnis über deren Unwirksamkeit führt nicht dazu, dass die Folgen dieser Erkenntnis erst nach dem Zeitpunkt der Entscheidung zur Anwendung kommen. Vielmehr war die Klausel von Beginn an nicht anzuwenden.“

In anderen Worten: Eine rechtswidrige Klausel ist natürlich stets von Anfang an rechtswidrig. Verbraucher dürfen eine transparente und faire Zinsentwicklung erwarten, seit Vertragsbeginn.


Zu der Behauptung von Kreditinstituten, dass sie seit Bekanntwerden entsprechender Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) bereits rechtskonform arbeiten würden und Verbraucher darum keinen Anspruch mehr auf Erstattung hätten,

sagt das OLG Dresden:

„Da die Zinsänderungsklausel, nicht aber die Vereinbarung über den variablen Zins, unwirksam ist und dispositives Recht insoweit fehlt, ist diese Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Im Rechtsstreit ist diese Bestimmung durch das Gericht vorzunehmen. Diese Bestimmung ist daran zu orientieren, welche Regelungen die Parteien in Kenntnis der Unwirksamkeit der vereinbarten Zinsanpassungsklausel nach dem Vertragszweck in angemessener Abwägung der beiderseitigen Interessen als redliche Vertragspartner nach Treu und Glauben getroffen hätten […]. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten besteht nicht.“

In anderen Worten: Die Kreditinstitute durften nicht einseitig ihre Zinsberechnung nach Bekanntwerden der ersten BGH-Urteile 2004 ändern, auch wenn sie dies in gutem Glauben getan haben, auf diese Weise geltendes Recht umzusetzen. Sie hätten sich um eine neue Vereinbarung mit ihren Kunden bemühen müssen. Und dabei hätten sie auch die Zinsanpassung seit Vertragsbeginn, also auch vor den BGH-Urteilen, neu regeln müssen und ggf. Zinsen nachzahlen müssen. Die Behauptung der Institute, sie hätten längst geltendes Recht umgesetzt, konnte für die Kunden niemals eine Bindungswirkung entfalten, weil die Kunden der neuen Zinsberechnung nie zugestimmt haben. Sie wurden dazu nicht einmal um Zustimmung gebeten.


Hin und wieder verwenden (auch heute noch) Kreditinstitute Referenzzinssätze, die keiner öffentlich zugänglichen Quelle zu entnehmen sind.

Das OLG Dresden dazu:

„Die Klage ist jedoch mit dem zweiten Hilfsantrag, der darauf gerichtet ist, festzustellen, ‚dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zinsanpassung für die im Antrag zu 1. genannten Verträge [vorzunehmen] auf der Grundlage eines angemessenen in öffentlich zugänglichen Medien abgebildeten Referenzzinssatzes, der dem konkreten Geschäft möglichst nahe kommt,‘ begründet.“

In anderen Worten: Die Zinsen müssen öffentlich zugänglich sein. Bankinterne Informationsquellen sind unzulässig.


Die Verbraucherzentrale Sachsen wollte mit der Musterfeststellungsklage erreichen, dass eine ganz bestimmte Zeitreihe von Zinssätzen der Deutschen Bundesbank zur Nachberechnung der Verträge genutzt wird. Das OLG sah sich zwar nicht in der Lage dazu, diese Frage für alle Kunden verbindlich zu entscheiden, weil dazu eine nachträgliche Auslegung des Parteiwillens erforderlich sei (s.o.), befasste sich mit dieser Frage dennoch.

Das OLG Dresden dazu:

„Der Senat verkennt nicht, dass gleichlautende schriftliche Verträge und das Fehlen jeglicher lndividualvereinbarungen und ein Besparen der Verträge mit monatlichen Raten unterstellt, der vom Hauptantrag bezeichnete Referenzzinssatz geeignet erscheint. […] Bei dem von dem Kläger angeführten Zinssatz der Deutschen Bundesbank WX 4260 sind diese Anforderungen grundsätzlich erfüllt.“

In anderen Worten: Der von den Verbraucherzentralen und von einigen Gutachtern verwendete Referenzzinssatz der Deutschen Bundesbank WX 4260 ist ein geeigneter Zinssatz.

Anmerkung: Bitte beachten Sie, dass die Bezeichnung der Zinsreihe bis zum 04.05.2020 von der Bundesbank unter der Bezeichnung BBK01.WX4260 veröffentlicht wurde. Danach erfolgte eine Umbenennung. Inhaltlich wurden keine Änderungen vorgenommen.


Üblicherweise bilden Kreditinstitute den Referenzzinssatz aus unterschiedlichen Zinssätzen, die gewichtet in den Referenzzins eingehen. Bei Sparkassen weit verbreitet ist ein Referenzzins, der zu 30% aus einem Zins über 3 Monate und zu 70% aus einem Zins über 10 Jahre zusammengesetzt wird. Das OLG kritisierte die Beimischung des kurzfristigen Zinssatzes.

Das OLG Dresden dazu:

„Der Referenzzinssatz muss zudem auch auf die Laufzeit der Geldanlage abgestimmt werden. Die Sparverträge sind, trotz ihrer Kündbarkeit, auf eine lange Laufzeit ausgerichtet. Daran ist auch der ausgewählte Referenzzinssatz zu orientieren. […] Daher ist es sachgerecht, einen Referenzzinssatz für langfristige Kapitalanlagen heranzuziehen (vgl. BGH, Urteil vom 13.4.2010 — XI ZR 197/09, BKR 2010, 300, 302). Auch wenn es in der Praxis im Einzelfall ‚gute Gründe‘ geben mag, einen derartigen Sparvertrag zu kündigen oder nicht weiter zu besparen, kann daraus […] nicht abgeleitet werden, dass es nicht zulässig ist, einen auf einer langfristigen Geldanlage beruhenden Referenzzinssatz zu wählen. Maßgeblich ist daneben nämlich auch die Zielrichtung des Vertrages, die für die Verbraucher auf eine langfristige Anlage ausgerichtet war. […] Für das Abstellen auf einen langfristigen Zinssatz spricht, auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beklagten, umso mehr, dass die Verträge im Wesentlichen in einer Hochzinsphase abgeschlossen wurden. In dieser war die Orientierung an einem langfristigen Zinssatz für die Beklagte gerade nicht nachteilig, da dieser in einer Hochzinsphase verhältnismäßig niedrig ist.“

In anderen Worten: Der veränderliche Zins bei einem langfristigen Sparvertrag hat sich an den langfristigen Zinssätzen am Markt zu orientieren, nicht an kurzfristigen. Eine Mischung von lang- und kurzfristigen Zinssätzen ist unzulässig, auch wenn der Verbraucher ein Kündigungsrecht hat.


Die Zinsanpassung kann, je nach Vereinbarung, in Zeitabschnitten oder bei Überschreitung bestimmter Schwellen, vorgenommen werden. Das Gericht stellte fest, dass die monatliche Anpassung sachgerecht ist.

Das OLG Dresden dazu:

„Verständige Parteien, die eine indexanhängige Zinsanpassung begehren, werden jeweils einen Anpassungszeitraum wählen, der ihnen eine möglichst genaue Anpassung ohne zeitliche Verzögerung ermöglicht. Der Senat geht davon aus, dass die Parteien, hätten sie das Problem der erforderlichen Anpassungsintervalle bedacht, das Modell mit der größten Genauigkeit, das aber zudem auch noch im Verwaltungsaufwand beherrschbar ist, gewählt hätten. Das ist die monatliche Anpassung.“

In anderen Worten: Die Zinsen sind bei Nachberechnungen für die Zeit seit Vertragsbeginn monatlich anzupassen.


Die Sparzinsen sind seit Bestehen dieser Verträge stetig gesunken. Bei fallenden Zinsen ist eine Anpassung des Sparzinses mit festem Abstand zu einem Referenzzins für Verbraucher nachteilig. Die Bank sichert sich auf diese Weise eine feste Marge. Interessengerecht ist es daher, das Verhältnis von Spar- zu Referenzzins über die gesamte Sparzeit gleich zu belassen (Äquivalenzprinzip).

Das OLG Dresden dazu:

„Im Regelfall wird die Zinsanpassung jedoch relativ zum Referenzzinssatz vorzunehmen sein. […] Die Beklagte verkennt bereits, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine Klausel, die einen gleichbleibenden Abstand des Vertragszinses zum Referenzzins vorsieht, nicht herbeigeführt werden kann. Der gleichbleibende Abstand zum Referenzzins sichert — zu Gunsten der Beklagten — die anfängliche Marge in absoluten Prozentpunkten über die gesamte Vertragslaufzeit. Er kann, bei stark fallenden Zinsen, sogar zur Zinszahlungspflicht des Verbrauchers führen. […] Das Ziel, Zinsen zu erzielen, ist für den Anleger einer Sparanlage so evident, dass redliche Vertragspartner keine Klausel vereinbart hätten, aus der sich auch nur ein Restrisiko einer negativen Verzinsung ergibt. Bei der Anwendung der relativen Zinsanpassung erhält der Sparkunde zwingend eine Verzinsung. Bei einer absoluten Zinsanpassung kann sie nach Auffassung der Beklagten zumindest auf Null reduziert werden. Auch die Vereinbarung einer vollständig ausbleibenden Verzinsung ist mit den von der Beklagten als redliche Vertragspartnerin zwingend zu beachtenden Interessen der Verbraucher bei dem Abschluss eines Sparvertrages, dessen Ziel immer die Generierung von Zinsen ist, nicht zu vereinbaren.“

In anderen Worten: Die Verbraucherzentralen rechnen die Zinsen stets mit einer relativen Zinsanpassung nach. Diese Methode ist korrekt. Außerdem muss das Geldinstitut stets einen Zins bezahlen, ein Zins von Null ist ausgeschlossen.


Seit etwa 10 Jahren bringen einige Kreditinstitute die Einrede der Verjährung vor und sind allenfalls bereit, die Zinsnachzahlung der letzten drei Jahre zu prüfen und gegebenenfalls vorzunehmen.

Das OLG Dresden dazu:

„Die Zinsansprüche entstehen erst mit der Beendigung des jeweiligen Vertrages, gemeinsam mit der Begründung der Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs im Hinblick auf das Kapital. Bei einer ordnungsgemäßen Kontoführung war die Beklagte verpflichtet, die Zinsen unabhängig von der Vorlage des jeweiligen Sparbuches dem Kapital der Verbraucher mit der Folge zuzuschlagen, dass sich die Hauptforderung erhöht. […] Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Zinsleistung zu bewirken war […]. Das ist erst der Zeitpunkt, zu dem die Berechnungsparameter feststehen und zu dem die Zinsen vertragsgerecht zu leisten waren.“

In anderen Worten: Solange Sie keine neue Vereinbarung zur Anpassung der Zinsen seit Vertragsbeginn abgeschlossen haben, kann keine Verjährung eintreten. Die Verjährung tritt frühestens drei Jahre nach Vertragsende ein.

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