Ein Versicherungsvertreter, der sich unter Offenlegung seiner Agenturbindung für die Vermittlung einer Netto-Police vom Versicherungsnehmer formularmäßig einen eigenständigen Vergütungsanspruch versprechen lässt, handelt nicht unlauter. Er verstößt weder gegen Marktverhaltensregeln, die sich aus seiner gewerberechtlichen Genehmigung oder aus dem Verbot der Verwendung unwirksamer AGB ergibt, noch stellt die Vereinbarung einer maklertypischen, vom Schicksalsteilungsgrundsatz abweichenden Vergütung ein irreführendes Verhalten dar.
OLG Naumburg, Urteil vom 24.05.2012 – 9 U 218/11, BeckRS 2012, 15464
Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 15/2012 vom 26.07.2012
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Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Vermittlung von Nettopolicen bei gleichzeitiger Begründung einer Honorarvereinbarung zwischen Versicherungsvertreter und Kunde. Beide Parteien vermitteln gewerbsmäßig Versicherungsverträge, verfügen über eine Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO und sind als Versicherungsvertreter im Versicherungsvermittlungsregister eingetragen. Ein Mitarbeiter der Beklagten händigte einer Kundin eine „Erstkontaktinformation“ aus, in der es auszugsweise heißt:
„Meldung und Eintrag ins Vermittlerregister: Die V. GmbH ist im Vermittlerregister als erlaubnispflichtiger Versicherungsvertreter nach § 34 d Abs. 1 GewO bei der zuständigen IHK gemeldet und nach § 34 d Abs. 7 GewO unter der Registernummer … eingetragen.“
Sodann vermittelte er der Kundin eine fondsgebundene Rentenversicherung der A. Lebensversicherung S.A. Dabei handelt es sich um eine sog. Nettopolice, die keine Abschlusskosten enthält. Die Beklagte schloss mit der Kundin zugleich im eigenen Namen eine Vergütungsvereinbarung, in der es auszugsweise heißt:
„1. Der Versicherungsvermittler ist gewerberechtlich als Versicherungsvertreter von Lebensversicherungen für die A. Lebensversicherung S.A. tätig. In dieser Eigenschaft vermittelt er den Kunden die fondsgebundene Rentenversicherung mit wählbaren Zusatzversicherungen.
2. Der Versicherungsvermittler erhält vom Kunden für die Vermittlung und für seine Beratungs- und sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit dem Abschluss des nebenstehenden Versicherungsvertrages eine einmalige Vergütung. Der Versicherungstarif enthält keine Abschlusskosten; der Versicherungsvermittler erhält deshalb von der Versicherungsgesellschaft für seine Tätigkeit keine Provisionen oder sonstige Vergütungen.
4. Der Anspruch des Versicherungsvermittlers auf Zahlung der Vergütung entsteht mit dem nachfolgend beschriebenen Zustandekommen des vom Kunden beantragten Versicherungsvertrages. Der Versicherungsvertrag kommt zustande, wenn die Versicherungsgesellschaft die Annahme des Versicherungsvertrages durch Zusendung des Versicherungsscheines erklärt und der Kunde sein gesetzliches Widerrufsrecht vom Versicherungsvertrag nicht wirksam ausgeübt hat.
5. Wegen der rechtlichen Unabhängigkeit dieser Vergütungsvereinbarung vom Versicherungsvertrag ist der Kunde zur Zahlung der Vergütung auch im Falle der Änderung oder vorzeitigen Beendigung des Versicherungsvertrages verpflichtet. Die Vergütung ist jedoch bei wirksamer Anfechtung oder bei einer wirksamen Ausübung des Widerrufs nicht geschuldet.“
Das Landgericht untersagte der Beklagten antragsgemäß den Abschluss derartiger gesonderter Vergütungsvereinbarungen. Dies sei wettbewerbswidrig, da die Beklagte den Eindruck erwecke, nicht Versicherungsvertreterin im Lager des Versicherers zu sein, sondern als Makler auf der Seite des Kunden zu stehen.
Rechtliche Wertung
Das KG hob die LG-Entscheidung auf und wies die Klage ab. Die Beklagte verstoße weder gegen Marktverhaltensregeln, indem sie eine ihrer Erlaubnis widersprechende Tätigkeit ausübe, noch durch die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen.
Die Beklagte habe nicht gegen § 34d GewO verstoßen. Die Beklagte habe durch die Begründung eines eigenständigen Honoraranspruchs gegenüber dem Versicherungsnehmer, wie ihn auch Makler fordern dürften, den Umfang ihrer Erlaubnis als Vertreterin nicht überschritten. Dabei könne offenblieben, ob es überhaupt eine Typenspezifität der Erlaubnis gebe, da § 34d Abs. 2 GewO nicht hinsichtlich der Erlaubnisfähigkeit zwischen Vertretern und Maklern differenziere. Jedenfalls habe die Beklagte aber ihre Agenturbindung gegenüber den Kunden stets offengelegt.
Die von der Beklagten geschlossenen Vergütungsvereinbarungen seien auch nach §§ 307 ff. BGB nicht zu beanstanden. Die Versicherungsnehmer würden nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben benachteiligt. Insbesondere sei das Vertriebsmodell der Beklagten mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen werde, zu vereinbaren. Der Kunde werde durch die gesonderte Vergütung für die Vermittlung der Nettopolice nicht schlechter gestellt, sondern anders. Zwar ergäben sich Nachteile bei der Flexibilität. Weil der Vergütungsanspruch der Beklagten selbstständig sei, teile er nicht bzw. nur sehr begrenzt (vgl. Nr. 4 der Vereinbarung) das Schicksal der Versicherung. Werde jene gekündigt, bleibe der Honoraranspruch bestehen. Hierdurch entstehe für den Verbraucher ein wirtschaftlicher Druck, von der Kündigung der Versicherung abzusehen. Dieser werde allerdings dadurch relativiert, dass auch die vorzeitige Kündigung einer (Anspar-) Versicherung mit Bruttoprämie in der Regel mit nicht unerheblichen Verlusten verbunden sei. Hingegen biete die Nettopolice dem Verbraucher auch Vorteile, weil die Kostenstruktur transparenter werde. Zudem könne eine selbstständige Vergütung günstiger kalkuliert werden, weil sie nicht dem Schicksalsteilungsgrundsatz unterliege; Risikozuschläge für den Fall einer vorzeitigen Beendigung der Versicherung bräuchten also – anders als bei einer Bruttopolice – nicht gemacht zu werden. Zudem unterliege die Beklagte infolge des eigenständigen rechtsgeschäftlichen Verhältnisses einer Haftung nach § 280 BGB, die über die gesetzliche Haftung des Versicherungsvertreters nach §§ 61, 63 VVG hinausgehe.
Das Vertriebsmodell der Beklagten stelle auch keine Irreführung dar. Die Beklagte weise in Ziff. 1 der Vergütungsvereinbarung ausdrücklich auf ihre Agenturbindung hin.
Praxishinweis
Das OLG ließ die Revision zum Bundesgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Ob Revision eingelegt wird war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.
Für Makler hat der BGH eine separate Vergütungsvereinbarung bei Vermittlung einer Nettopolice bereits als zulässig angesehen (BGH, Urt. v. 19.05.2005 – III ZR 309/04, BeckRS 2005, 06949).
Der Versicherungsmakler hat bei der Empfehlung einer Nettopolicen-Lebensversicherung, die den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung für die Vermittlung notwendig macht, nachdrücklich über die Gefahren der damit verbundenen Abweichung vom «Schicksalsteilungsgrundsatz» aufzuklären (OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.09.2011 – 12 U 56/11, BeckRS 2011, 23170 m.Anm. Grams, FD-VersR 2011, 323306). Für die Zulässigkeit von separaten Vergütungsvereinbarungen bei Nettopolicen für Versicherungsvertreter s. auch Reiff, VersR 2012, 645.
@lektor: Danke für den Hinweis, darf ich die Aktenzeichen haben. Würde mir die Urteile gern durchlesen.
Gegen die Zulässigkeit von separaten Vergütungsvereinbarungen bei Nettopolicen für Versicherungsvertreter u.a. das LG Landshut in einem aktuellen Urteil sowie diverse andere.
@lektor
Sehe ich ganz genauso. Langsam kommt Licht ins Dunkle…
Mal wieder typisch für die Atlanticlux-lastige Berichterstattung hier. Dass gegen das Urteil des OLG Naumburg Revision unter dem AZ I ZR 104/12 eingelegt, wird verschwiegen.