Startseite Allgemeines Justiz Zur Verhältnismäßigkeit eines deutschen Haftbefehls gegen einen Deutschen, der sich im Senegal in Auslieferungshaft befindet
Justiz

Zur Verhältnismäßigkeit eines deutschen Haftbefehls gegen einen Deutschen, der sich im Senegal in Auslieferungshaft befindet

Daniel_B_photos (CC0), Pixabay
Teilen

Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm hatte sich in einem Beschluss vom 08.06.2021 mit einem Haftbefehl und insbesondere mit dessen Verhältnismäßigkeit zu befassen. Hierbei hat der Senat klargestellt, dass eine im Senegal erlittene Auslieferungshaft nicht ohne Weiteres zu einer Unverhältnismäßigkeit des deutschen Haftbefehls führe. Auch etwaige erschwerte Haftbedingungen im Senegal könnten keine Unverhältnismäßigkeit begründen, weil der Angeklagte diese jedenfalls durch seine Flucht nach Afrika selbst verursacht habe.

Der 62-jährige Angeklagte ist vor dem Amtsgericht Herford wegen 575 selbstständiger Taten von Dezember 2017 bis September 2020 mit Verstößen gegen Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz, versuchten Nötigungen, Beleidigungen, Urkundenfälschung – hierbei insbesondere durch den Versand von E-Mails an eine Vielzahl von Adressaten – angeklagt. Zwei Geschädigte sollen vorher Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Angeklagten erwirkt haben, damit dieser keinen weiteren Kontakt – insbesondere durch E-Mails – mit ihnen hätte aufnehmen können. Gegen diese Anordnungen soll der Angeklagte auch dann noch verstoßen haben, als er sich in Ordnungshaft – wegen vorheriger Verstöße gegen Kontaktbeschränkungen – befunden habe.

Im Anschluss an eine von Mitte August bis Mitte Oktober 2020 wegen Verstößen gegen zwei Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz vollstreckte Ordnungshaft kam der Angeklagte für elf Tage in Untersuchungshaft auf Grund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Herford. Nach einem Rechtsmittel des Angeklagten setzte das Landgericht Bielefeld den Haftbefehl gegen Zahlung einer Kaution, Abgabe des Reisepasses sowie eine Meldeauflage bei der Polizei außer Vollzug. Nach Erfüllung der ersten beiden Auflagen wurde der Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen.

Ende 2020 beantragte der Angeklagte, ihm seinen Reisepass wieder auszuhändigen, um aus beruflichen Gründen nach Afrika zu reisen. Dieses Ansinnen veranlasste das Amtsgericht Herford dazu, am 11.12.2020 einen neuen Untersuchungshaftbefehl wegen Fluchtgefahr zu erlassen. Dennoch hat sich der Angeklagte kurze Zeit später nach Afrika abgesetzt.

Zur Durchsetzung des Haftbefehls des Amtsgerichts Herford ist ein Europäischer Haftbefehl erlassen worden, auf dessen Grundlage sich der Angeklagte seit Mitte Februar im Senegal in Auslieferungshaft befindet. Eine Auslieferung nach Deutschland ist für Juni oder Juli in Aussicht gestellt worden.

Gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Herford vom 11.12.2020 (Az. 3 Ls 127/20, AG Herford) wendet sich nun der Angeklagte mit seiner (weiteren) Beschwerde an das Oberlandesgericht, nachdem eine Beschwerde vor dem Landgericht Bielefeld (Az. 8 Qs 93/21, LG Bielefeld) zurückgewiesen worden war. Er vertritt die Auffassung, der Haftbefehl sei unter anderem mit Blick auf die im Senegal erlittene Haft unverhältnismäßig.

Ohne Erfolg! Bei der Reise des Angeklagten nach Afrika handele es sich – so der 3. Strafsenat – um eine Flucht. Der Angeklagte habe nicht nur gegen seine Meldeauflage verstoßen, sondern sei auch ausgereist, obwohl über seinen Antrag auf Aushändigung des Reisepasses noch nicht entschieden gewesen sei. Außerdem habe er weder der Justiz noch der Firma, für die er als freier Mitarbeiter in Afrika tätig gewesen sein soll, seinen Aufenthalt oder eine Kontaktmöglichkeit mitgeteilt. Schließlich sei er nach der Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Der Haftbefehl erscheine auch vor dem Hintergrund der Auslieferungshaft im Senegal nicht unverhältnismäßig. Neben dem Umstand, dass die Zeit der Auslieferungshaft auf eine etwaige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe angerechnet werden würde, komme bei einer Verurteilung angesichts der fortdauernden Begehung der vorgeworfenen Taten sowie dem Tatnachverhalten – auch noch nach seiner Ausreise habe der Angeklagte weitere E-Mails zu dem Strafverfahren in Deutschland geschrieben – keine Aussetzung der Vollstreckung einer etwaigen Freiheitsstrafe zur Bewährung in Betracht. Darüber hinaus habe der Angeklagte etwaige erschwerte Haftbedingung im Senegal durch seine Flucht nach Afrika selber schuldhaft herbeigeführt, so dass dieser Umstand, der sich auf das gesamte Strafverfahren verzögernd auswirke, eine Unverhältnismäßigkeit ebenfalls nicht begründen könne.

 

Rechtskräftiger Beschluss des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 08.06.2021 (Az. III-3 Ws 169/21)

 

Der Beschluss ist in anonymisiertem Volltext unter www.nrwe.de Sprung in einen anderen Internetauftritt abrufbar.

 

Kommentar hinterlassen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Ähnliche Beiträge
Justiz

OLG Frankfurt: Geldwäscheverdachtsmeldung

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung Schadensersatzansprüche...

Justiz

Unzulässig

Frankfurter Theater-Doppelanlage: Neubau statt Sanierung Die Stadt Frankfurt hat nach einer eingehenden...

Justiz

Entlassung rechtmäßig

Verwaltungsgericht Koblenz bestätigt Entlassung eines Polizeikommissars wegen unangebrachter Inhalte Das Verwaltungsgericht Koblenz...